Ein Ort der Verwüstung
Der bestgeeignete Kandidat stand am Dienstag dieser Woche fest: Crawford Lake in Kanda, ein nicht allzu großer, aber 24 Meter tiefer See in Kanada. Er wurde unter zwölf möglichen Kandidaten als „Golden Spike“ gewählt – als jene Stelle auf dem Planeten, die den Einfluss des Menschen auf die Erde am deutlichsten abbildet und daher stellvertretend für das Anthropozän stehen könnte: für ein neues Erdzeitalter, das nach den geologisch abgespeicherten Spuren und nachhaltigen Verwüstungen des Menschen benannt ist. Forschende debattierten lange darüber und begründeten nun, warum die Wahl auf den See fiel: In weitgehend unberührten Sedimenten am Seegrund lagerten sich die Folgen humaner Aktivitäten langfristig ab, zum Beispiel radioaktiver Niederschlag von Atombombentests der 1950er-Jahre.
Ob tatsächlich ein neues Erdzeitalter ausgerufen wird, welches das bisherige Holozän ablöst, wird erst kommendes Jahr entschieden. Doch es besteht kein Zweifel daran, dass der Mensch die Erdoberfläche so massiv verändert hat, dass die Spuren seines Treibens noch sehr lange nachweisbar sein werden – in Form von radioaktivem Fallout, von Partikeln aus fossiler Verbrennung, der Verschleppung invasiver Arten und vieler anderer Zeugnisse, über die profil erst kürzlich groß berichtete.
Und ständig kommen neue Beobachtungen hinzu, die den gewaltigen humanen Fußabdruck in aller Deutlichkeit demonstrieren: Erst gestern wurde eine Studie unter Beteiligung einer Wissenschafterin der Universität publiziert, welche die Verschmutzung von Seen mit Mikroplastik dokumentierte. Sorry für die unappetitlichen Nachrichten in aller Früh, aber in sämtlichen 38 untersuchten Seen in 23 Ländern fanden sich erhebliche Mengen von Plastikmüll, überwiegend Mikroplastik. Teils waren die Seen sogar stärker kontaminiert als stark verschmutzte Onbereichzeae.
Längst nicht alle Forschenden finden, dass man aus den genannten Gründen gleich ein neues geologisches Kapitel eröffnen muss – traditionell handelt es sich dabei um Abschnitte der Erdgeschichte, die sich über Millionen von Jahren erstrecken und durch Markierungen im Stein definiert sind, die sich ebenfalls viele Millionen Jahre global nachweisen lassen. Man könnte aber auch von der strengen Definition ausnahmsweise abgehen und sagen: Die Ausrufung des Anthropozän könnte auch schlicht die Debatte darüber befeuern, wie wir mit jener dünnen, filigranen Schicht um den Planeten Erde umgehen, die unser aller Leben ermöglicht.
Eine entsprechend anregende Restwoche wünscht
Alwin Schönberger