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Fall Wien-Energie: Die Spieler

Das Image-Trümmerfeld von Michael Ludwig und „kulturelle Aneignung” als Gesellschaftskampfsport.

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„Krisen bewältigen kann jeder Idiot, die größte Herausforderung ist der Alltag”, konstatierte einst der russische Dramatiker Anton Tschechow.  

Die Stadt Wien, während der Corona-Periode Vorzeige-Bundesland, was das Krisenmanagement und die medizinische Versorgung betraf, scheiterte jetzt mit vollem Karacho in den Leistungsgegenständen Krise und Alltag.  Während der Lektüre unserer aktuellen, Fremdscham sowie Thriller-Spannung hervorrufenden Cover-Geschichte „Das rote Debakel – Wie Bürgermeister Michael Ludwig das Milliarden-Risiko der Wien Energie verheimlichte” (Autorenteam Gernot Bauer, Christa Zöchling, Christina Hiptmayr und Stefan Melichar - hier geht es zum E-Paper) stolperte ich mehrfach über den Begriff „Daseinsvorsorge”, der mir bislang nicht geläufig war.

„Daseinsvorsorge” sei, so kommuniziert das Wiener Rathaus, das „Rückgrat der Stadt” und bezeichnet sowas wie die Verantwortung, Sorge zu tragen, dass ihre Bürger und Bürgerinnen es u. a. angstfrei warm haben und Zugang zu Trinkwasser, Strom und anderem Existenzbedingendem besitzen. Beim Krisentreffen mit der Bundesregierung Ende August hat Wien-Energie-Chef Michael Strebl die möglichen Konsequenzen ohne Akuthilfe für sein Unternehmen präsentiert. Die Folgen wären „fatal“: Die Wien Energie könne „die Verpflichtung gegenüber den Kunden“ nicht mehr einhalten und müsste zwei Millionen Strom- und Gaskunden „kündigen“. Es wäre „keine Gasabsicherung“ für den Winter mehr möglich, Fernwärme nur „im Notbetrieb“. Überdies bestehe ein erhöhtes Blackout-Risiko.

Die Chronik und Analyse, wie es zu diesem Debakel und Schreckensszenario kommen und warum Bürgermeister Michael Ludwig im absprachefreien Alleingang der Wien Energie in aller Stille 1,4 Milliarden hinüber schieben konnte (ein solches Solo-Pouvoir ließe auch US-Präsident Joe Biden erblassen), erzähle auch von  „Bunkermentalität, Selbstherrlichkeit und Kritikunfähigkeit”: Allesamt Faktoren, so die Autoren,  die sich in der Wiener SPÖ nach Jahrzehnten am Hebel zu einem gefährlichen Macht-Teflon verdichteten. Das inkompetente Energie-Gezocke könnte alle Mitspieler, also auch uns Steuerzahler, so die Experten-Prognosen, mit Sicherheit 5,4 Milliarden, aber auch bis zu zehn Milliarden Euro kosten.

Kleines Paradoxon am Rande: Als die langjährige Vizebürgermeisterin und Stadträtin Renate Brauner mit Ludwigs Amtsantritt 2018 aus der Stadtregierung eher unfreiwillig ausschied, wurde für sie ein Büro gezaubert, das den Untertitel „für Daseinsvorsorge” trug und, so die Oppositionskritik, als „reiner Versorgungs-Posten” diente. Macht kann auch Humor besitzen.

Mächtig Humor perlt ungetrübt im Entertainer Harald Schmidt, 65, der vergangenen Samstag in engen Hosen und mit Perücke in der Operette „Die Dubarry” sein Debut an der Wiener Volksoper feierte. Interviews (unseres trägt den Titel:„Es ist ein Privileg, ein alter, weißer Mann zu sein”) versteht er als Trockentraining für seine kommenden Auftritte, Pointen werden dankenswerterweise im Vorfeld auf ihre Funktionstüchtigkeit an Journalisten ausprobiert. Auf die kulturelle Aneignungsdebatte angesprochen, antwortete er lapidar: „Das sind doch alles völlige First-World-Problems. Wenn aus deinem Wasserhahn kein sauberes Wasser kommt, sind dir Winnetou, Lederhosen oder Dreadlocks völlig wurscht. Und warten wir einmal ab, wenn der Winter kalt und das Gas knapp wird. Da geht es dann nämlich längst nicht mehr nur ums Warmduschen, sondern um ganze Industrien, die um ihr Überleben kämpfen.”

Zuvor widmet sich Sebastian Hofer in seinem Essay „Finde den Fehler” in aller analytischen Ausführlichkeit dem Phänomen und der Geschichte der kulturellen Aneignung, die im Wochentakt von Meinungsschaum getragene Wellen schlägt und vor allem als hoch emotionales Diskursthema  zwischen den Generationen brodelt .

Harald Schmidt ist übrigens dafür, dass Lederhosen nicht nur „einem Stammesvolk Indigener in den Alpen” zugänglich sein sollten. Wieder ein First-World-Problem gelöst.

Eine angstfreie Woche wünscht Ihnen

Angelika Hager

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort