Wie Politiker um Stimmen der „neuen Österreicher“ kämpfen
Österreich ist ein Einwanderungsland. Das ist definitiv nicht neu. Statistiken zeigen, dass etwa 28 Prozent der Menschen, die in Österreich leben, einen Migrationshintergrund haben. Wie viele von diesen Menschen mit Migrationsgeschichte wahlberechtigt sind, ist nicht erfasst, Schätzungen zufolge sollen es zwischen zehn und zwölf Prozent sein.
Nicht wählen dürfen am Sonntag rund 1,5 Millionen in Österreich lebende Personen im Wahlalter, weil sie keine österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Diese Stimmen könnten womöglich linken Parteien in die Karten spielen: Bei der (nicht repräsentativen) von SOS Mitmensch organisierten „Pass egal Wahl“ führte dieses Jahr zumindest die SPÖ mit 36,8 Prozent, gefolgt von den Grünen mit 19,3 Prozent und der KPÖ mit 10,4 Prozent.
Migrant:innen als Instrument der Freiheitlichen
Trotzdem: Wahlberechtigte mit Migrationsgeschichte stellen eine immer größere Gruppe in Österreich. Das haben die heimischen Parteien erkannt – auch rechts der Mitte. Im Juni etwa ging ein Video der FPÖ viral, in dem der 19-jährige Christopher, ein Österreicher mit türkischen Wurzeln, andere Austrotürk:innen davon überzeugen wollte, ihr Kreuz neben der FPÖ zu setzen.
Ein immer häufiger verwendetes Argument: Es gibt die „guten, integrierten“ Ausländer, die arbeiten und Steuern zahlen. Und es gibt die „schlechten“ Ausländer, die „nur von Sozialhilfen leben“, sich nicht integrieren wollen und ein schlechtes Bild auf „alle Österreicher:innen mit Migrationsgeschichte“ werfen.
Am Dienstag veröffentlichten die Freiheitlichen ein zweites Video im selben Tenor: Darin geht es um Thomas, einen Iraner, der seit achteinhalb Jahren in Kärnten lebt, mit einer Kärntnerin verheiratet und selbstständiger Gastronom ist. „Es freut mich sehr, für alle Österreicherinnen und Österreicher und auch für uns, die da ein Leben aufbauen wollen, dass der Herr Kickl Bundeskanzler wird, weil er nicht gegen uns steht, sondern er steht in der Richtung, uns dabei zu unterstützen, ein eigenes Leben aufzubauen (sic)“, erzählt Thomas, der Kärnter-Iraner im Video.
Meine Kollegin Daniela Breščaković und ich haben für profil mit Menschen mit Migrationsgeschichte gesprochen, die kommenden Sonntag den Freiheitlichen, einer Partei, die immer wieder gegen Migrant:innen und Muslime wettert, ihre Stimme geben möchten. Ihre Gründe sind unterschiedlich. Einerseits sind es negative Erfahrungen mit Geflüchteten, andererseits möchten sie, dass linke Parteien, wie die SPÖ „aufwachen“ und Politik machen, die migrantische Communities anspricht.
Die „Umkehr“ des Batman
Migrantische Communities persönlich anzusprechen, das versucht in der SPÖ auch er: Muhammed Yüksek, SPÖ-Bezirksrat aus Favoriten, kontaktierte nach Erscheinung des profil-Artikels einen der Protagonisten, Yaşar Batman und ging mit dem gebürtigen Türken in Ottakring einen türkischen Kaffee trinken. Im Laufe des Gesprächs soll Yüksek Batman davon überzeugt haben, doch nicht die FPÖ zu wählen. Dies verkündete er freudig auf Social Media: „Ich kann euch versichern, dass unser Yaşar Amca (Anm.: „Onkel“ auf türkisch; wird umgangssprachlich als ehrenvolle Bezeichnung für ältere Männer verwendet) nicht die FPÖ wählt!“ Mittels Einzelgesprächen in der Community versucht der Bezirksrat, Wahlberechtigte aus der türkischen Community von der Politik der Sozialdemokraten zu überzeugen.
Dieselbe Taktik verfolgt auch sein Parteikollege, David Bilbija aus Ebreichsdorf. Der Niederösterreicher mit serbischen Wurzeln kandidiert bei der kommenden Nationalratswahl für die SPÖ Niederösterreich auf der Landesliste auf Platz 67.
In den Sozialen Medien oder auf serbischen Volksfesten ruft der 30-Jährige auf Serbisch dazu auf, am 29. November wählen zu gehen. Seine Instagram- und Facebook-Postings verfasst er auf Deutsch und auf Serbisch. Manche seiner Auftritte werfen aber Fragen auf: Vergangene Woche lud der serbische Botschafter Bilbija anlässlich des Tags der serbischen Einheit in die Botschaft ein. Dort waren jedoch nicht nur serbisch-niederösterreichische Landespolitiker:innen zu Gast. Bilbija traf unter anderem Aleksandar Vulin, den stellvertretenden serbischen Premierminister. Vulin, auch bekannt als „Mann Moskaus“ war bis November 2023 Chef des serbischen Geheimdienstes. Nur wenige Monate zuvor verhängte das amerikanische Finanzministerium Sanktionen gegen den Serben, weil ihm „korrupte und destabilisierende Handlungen“ zu Gunsten von Russland vorgeworfen wurden. Vulin soll ein Drogenhandelsnetz und illegale Waffenlieferungen unterstützt haben. Aus der SPNÖ heißt es auf profil-Anfrage: „Herr Bilbija hat an einer Veranstaltung teilgenommen, an der auch offizielle Vertreter der Republik Serbien teilgenommen haben. Es liegt außerhalb des Einflussbereichs der SPÖ NÖ, nach welchen Kriterien die Republik Serbien ihre offiziellen Vertreter auswählt."
Grüne Migrant:innen
Einen anderen Ansatz verfolgen die Wiener Grünen, die verschiedene migrantische Arbeitsgruppen gegründet haben: Die Grünen JugÖs – eine Gruppe grüner Aktivist:innen mit ex-jugoslawischem Background; die Afrikanische ArbeitsGruppe (AAG) und die Farsi AG setzen sich für Anliegen der Communities in Österreich ein.
Fakt ist: Wähler:innen mit Migrationshintergrund sind keine homogene, jedoch eine wachsende Gruppe. Ob die Mobilisierungsversuche der Parteien erfolgreich gewesen sind, wird sich am Wahlergebnis zeigen.