Morgenpost

Es findet zusammen, was zusammengehört

Die Annäherung der FPÖ an die türkischstämmige Community in Wien ist ein Widerspruch – aber nur auf den ersten Blick

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Dereinst sprach die FPÖ von einem „Türkenproblem“ in Wien – dieser Tage sitzt der blaue Funktionär Leo Lugner beim Fastenbrechen in türkischen Moscheevereinen, bei der Organisationen Atib, die die Freiheitlichen eben noch verbieten wollte. Dereinst kritisierte die FPÖ die SPÖ für ihr Engagement um die Wiener Türkeistämmigen – dieser Tage präsentiert der Wiener FPÖ-Spitzenkandidat Dominik Nepp den türkeistämmigen Spitzenkandidaten Mehmet Özay auf der Liste der Blauen. Dereinst plakatierte die FPÖ Sprüche wie „Deutsch statt nix verstehen“ – dieser Tage erscheinen in türkischen Medien Jubeltexte über die Freiheitlichen – und zwar in türkischer Sprache. 

In den vergangenen zwei Wochen hat profil in mehreren Artikeln über die bemerkenswerte Annäherung zwischen den Blauen und der türkischen Community in Wien berichtet – wie passen diese beiden Welten zusammen? Ist deren Allianz nicht ein kompletter Widerspruch? Ja, aber nur auf den ersten Blick. In gewisser Weise findet da zusammen, was zusammengehört. 

Österreich für Erdoğan 

Die Mehrheit der Eingebürgerten hat stets links gewählt, sagt Politikwissenschaftler Rainer Bauböck: „Viele Gastarbeiter waren Industriearbeiter, es war vor allem linke Parteien, bei deren sie ihre politischen Interessen gewahrt sahen.“ Doch es gibt eine Abnahme zugunsten der Rechten – in den USA stärker ausgeprägt als in Europa. Dort haben die Stimmen der Latinos maßgeblich zu Donald Trumps Wahlsieg beigetragen, – die zuvor traditionell vor allem Stammwähler der Demokraten waren. Für konservative Ideen werden Latinos empfänglicher, sagt Bauböck. Auch, weil evangelikale Freikirchen in dieser Community immer mehr Anhänger haben. 

Viele Migranten, vor allem die Türkeistämmigen in Österreich, müssen erst gar nicht konservativ werden – sie sind es ohnehin. Bei den türkischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Mai 2023 haben in Österreich fast 74 Prozent der Türkinnen und Türken für Recep Tayyip Erdoğan votiert – so viel wie in keinem anderen Land weltweit außerhalb der Türkei. Ja, selbst in der Türkei waren es mit knapp 58 Prozent weit weniger.

Die SPÖ, die traditionell von vielen Türkischstämmigen gewählt wurde, war für diese vor allem eine „Klientelpartei“, sagt Bauböck, „viel mehr aber auch nicht.“. In vielerlei Hinsicht gibt es eine größere ideologische Nähe zu einer rechten Partei, wie es die FPÖ ist: Viele kulturkonservative Türkischstämmige teilen mit der FPÖ die gleichen traditionellen Ansichten, was beispielsweise das Thema Familie, Gleichberechtigung der Geschlechter und Rechte sexueller Minderheiten angeht, sagt Bauböck. 

Die FPÖ wird bei der Wien-Wahl am 27. April wohl kaum die Großzahl der Stimmen der Türkischstämmigen auf sich vereinen – zu groß sind die Vorbehalte innerhalb der Community wegen der islamfeindlichen Positionen, die die FPÖ immer wieder vertreten hat. Der Grundstein für etwas Neues ist dennoch gelegt. Oder wie es ein türkischstämmiger FPÖ-Sympathisant, einer von wenigen, die dazu stehen, vergangene Woche sagte: „Wer nicht mit der Zeit geht, muss mit der Zeit gehen.“ 

Nina Brnada

Nina Brnada

Redakteurin im Österreich-Ressort. Davor Falter Wochenzeitung.