Fragt doch die Wissenschaft!
Gestern geschah etwas in Österreich Ungewöhnliches: Die Wissenschaft mischte sich in eine gesellschaftspolitische Debatte ein und bezog eindeutig Stellung. Das Thema ist heikel, gleicht dem sprichwörtlichen Minenfeld, und wer sich dazu äußert, erntet schnell einen ausgewachsenen Shitstorm. Umso bemerkenswerter, dass eine Gruppe hochrangiger Forschender, darunter Heinz Faßmann, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, und mehrere Rektorinnen und Rektoren einen „Offenen Brief“ verfassten, in dem sie für eine „wissenschaftbasierte Beurteilung der Grünen Gentechnik“ plädierten. Sie luden zum Dialog über Funktionsweise und Einsatzgebiete neuartiger Instrumente der Gen-Editierung, speziell von CRISPR/Cas9 – der „Genschere“, die es erlaubt, Gene stummzuschalten, die für Erbkrankheiten veranwtortlich sind. Mit der gleichen Methode können Nutzpflanzen bearbeitet werden, um sie zum Beispiel widerstandsfähig gegen Hitze oder Trockenheit zu machen.
Der Vorstoß kommt zur rechten Zeit: Nächsten Mittwoch sollen auf EU-Ebene mehrere Gesetzesvorschläge erörtert werden, die als „Food and Biodiversity Package“ bezeichnet werden. Es geht um Weichenstellungen für die Nahrungsmittelproduktion der Zukunft, speziell um Bodengesundheit, Patentierungsmöglichkeiten von Saatgut (die profil kürzlich umfassend thematisierte) und um Gentechnik. Unter anderem steht die Frage im Raum: Soll die Genschere weiterhin als klassische Gentechnik definiert werden? Oder soll sie konventionellen Züchtungsmethoden gleichgestellt werden, weil sich das Ergebnis eines Eingriffs ins Genom mit der Genschere de facto nicht von natürlichen Veränderungen unterscheidet?
Eine Entscheidung darüber ist essenziell, weil sie auch beeinflusst, ob und in welchem Ausmaß CRISPR/Cas9 künftig in der Landwirtschaft Anwendung findet. NGOs wie die Arche Noah sind strikt gegen eine Aufweichung bisheriger Regeln, weil sie eine noch höhere Konzentration der Pflanzenzucht in den Händen weniger Großkonzerne befürchten, und ihre Position teilt in Österreich und Deutschland eine große Mehrheit der Bevölkerung – alles, was unter Gentechnik fällt, ist besonders in diesen beiden Ländern mit Ängsten besetzt und stößt auf massive Ablehnung.
In ihrem offenen Brief halten die Forschenden dagegen, dass die Genschere ein mit dem Nobelpreis ausgezeichnetes Werkzeug ist, das unter anderem dazu beitragen kann, Nutzpflanzen fit in Bezug auf den Klimawandel zu machen und somit helfen kann, die Nahrungsmittelherstellung zu sichern. Das Wissenschaftergremium appelliert daher, rein ideologische Debatten zu überwinden und darauf zu hören, was jene Menschen zu sagen haben, die sich hauptberuflich mit dem Thema befassen – Forschende im Bereich der Molekularbiologie.
Empfehlenswert wäre das ganz gewiss, auch in vielen anderen Bereichen des täglichen Lebens, in denen die Wissenschaft Wichtiges beizutragen hat. Inwiefern ihre Position nun auf EU-Ebene gehört wird, wissen wir vielleicht im Lauf der kommenden Woche – die dortigen Entscheidungen werden uns alle betreffen.