Geheime Mission nach Moskau
Womöglich haben Sie in den vergangenen Tagen aus den Medien davon erfahren, wie zwei ukrainische Jugendliche, die in Tirol untergekommen waren, nach Moskau gebracht wurden. Ich bin am Wochenende auf Twitter darüber gestolpert. Der ukrainische Botschafter in Wien Vasyl Khymynets wusste da schon seit einigen Tagen Bescheid.
Mitte vergangener Woche wurde er auf ein Video aufmerksam gemacht, das die beiden Jugendlichen gemeinsam mit ihren Müttern in Moskau zeigt. Die russische „Ombudsfrau für Menschenrechte“ Tatjana Moskalkowa hatte es auf Telegram gepostet.
Khymynets konnte kaum glauben, was er da sah. In dem Video, das auch im russischen Fernsehen ausgestrahlt wurde, freut sich Moskalkowa über die „Rückkehr“ der „nach Österreich geschmuggelten“ jungen Leute zur ihren Eltern. Es sei russischen Diplomaten sowie dem Nachrichtendienst zu verdanken, dass die Kinder von Tirol nach Moskau kamen. Flankiert wird sie von den Jugendlichen und deren Müttern, die allesamt nicht gerade glücklich aussehen.
„Ich war schockiert und entsetzt“, sagt Botschafter Vasyl Khymynets im Gespräch mit profil. Er habe sofort zum Telefon gegriffen und Walter Peer angerufen, den Honorarkonsul der Ukraine in Tirol. Er sollte klären, wie es zu dieser Aktion kommen konnte.
Niemand will etwas gewusst haben
Rasch stellte sich heraus: Der Fall ist geradezu skurril. Offenbar hat ein hochrangiger Beamter des Landes Tirol die beiden Minderjährigen, 16 und 17 Jahre alt, Anfang Jänner auf eigene Faust nach Moskau gebracht. Niemand will etwas von der Aktion gewusst haben. Weder die ukrainische Botschaft noch die Tiroler Behörden waren informiert.
Doch von Anfang an. Nach Tirol gekommen sind das Mädchen und der Bub bereits Ende März 2022. Das Land Tirol hatte 300 Kinder und Jugendliche aus dem Kriegsgebiet eingeladen, gekommen sind rund 250. Dabei handelte es sich vor allem um Kinder mit Beeinträchtigungen, viele davon kamen aus ukrainischen Waisenhäusern nach Österreich. Der Gruppe angeschlossen haben sich auch fünf junge ukrainische Sportlerinnen und Sportler, darunter der Bub, ein Hobby-Gewichtheber, sowie das Mädchen, beide aus dem ostukrainischen Luhansk.
Zuletzt lebten die Minderjährigen aus der Ukraine in einer Kinder- und Jugendeinrichtung in Kematen. Hier gingen sie zur Schule, absolvierten ihr Training und lebten sich offenbar gut ein. Betreut wurden die jungen Sportler zunächst von ihrem ukrainischen Trainer, seit vergangenem September war die Jugendland GmbH zuständig. Die Obsorge lag stets bei den Eltern, heißt es vonseiten der Tiroler Landesregierung.
„Er schien nicht verstanden zu haben, dass das so nicht geht“
Aus Kematen erfährt Honorarkonsul Peer, dass die beiden aus Einrichtung und Schule abgemeldet wurden. Der Beamte (profil ist sein Name bekannt) hat sie offenbar im Alleingang aus der Betreuungseinrichtung abgeholt, um sie zu ihren Müttern nach Moskau zu bringen. Den Betreuern zeigt er Dokumente auf Russisch, auch eine Vollmacht der Mütter soll er dabei gehabt haben. Jugendland-Mitarbeitern sagt er, die Aktion sei mit der russischen Ombudsfrau abgesprochen.
Peer ist fassungslos.
Er greift nun seinerseits zum Telefon, um den Beamten anzurufen. Was er da getan habe, fragt er, doch der Tiroler Beamte gibt sich ahnungslos. Er habe das alles auf höchster Ebene geklärt, behauptet er – und meint damit offenbar das „Europäische Ombudsmann-Institut“ (EOI), dem er bis vergangenen Freitag als Generalsekretär vorstand und über das die Aktion eingefädelt worden sein dürfte. „Er schien nicht verstanden zu haben, dass das so nicht geht“, sagt Peer.
Das ist bemerkenswert, denn der Beamte war auch Angestellter der Landesvolksanwaltschaft. Als Jurist hätte er eigentlich wissen müssen, dass sein Alleingang ganz und gar nicht dem Prozedere entspricht.
Als die Angelegenheit Mitte vergangener Woche ans Licht kommt, wird der Beamte nach Tirol zurückzitiert. Nachdem er die beiden Jugendlichen mit dem Zug nach Wien und dann mit dem Flugzeug nach Moskau begleitet hatte, war er zu einem Kongress der EOI nach Ankara weitergereist.
Dort traf er auch auf seine russische Kollegin Moskalkowa, die ebenfalls im Vorstand der EOI sitzt.
Botschafter Vasyl Khymynets glaubt nicht, dass der Tiroler Beamte aus Naivität heraus gehandelt hat.
„Ein herzensguter Mensch“
Das Land Tirol hat den Beamten vorübergehend suspendiert, die Innsbrucker Staatsanwaltschaft prüft, ob ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird. In Wien haben die Neos eine Parlamentarische Anfrage an Innenminister Gerhard Karner eingebracht. Offene Fragen zu dem Fall gibt es viele. Hat der Beamte die Aktion gemeinsam mit der russischen Ombudsfrau Moskalkowa geplant? Wie kann es sein, dass er mit den beiden Minderjährigen ungehindert und unbemerkt aus Österreich ausreisen konnte? Wer hat die Reise bezahlt – hat sich der Beamte etwa von Russland nach Moskau einladen lassen?
Geklärt werden muss auch, ob dem Tiroler jegliches Unrechtsbewusstsein fehlte oder ob mehr dahintersteckt. „Es gibt drei Möglichkeiten: Entweder er ist dumm, naiv oder er ist ein russischer Spion“ - so fasst es eine mit der Sache vertraute Person zusammen. Wobei: Das eine schließt das andere bekanntlich nicht aus.
Für Tiroler Weggefährten des Beamten ist eine Spionagetätigkeit für Moskau schwer vorstellbar. Als Russland-nahe sei er nie aufgefallen, sagt ein ÖVP-Bürgermeister, der den Beamten seit Jahrzehnten kennt.
In jungen Jahren war er Mitarbeiter im ÖVP-Klub, später saß er eine zeitlang im Gemeinderat. Demnächst hätte der Landesbedienstete in Pension gehen sollen. In Innsbruck galt er als hilfsbereit und freundlich. „Ein herzensguter Mensch“, sagt der Bürgermeister, „der immer geholfen, sich um alles gekümmert hat“. Bei der Volksanwaltschaft sei er genau richtig gewesen. „Ich glaube, dass er die Mütter mit ihren Kinder zusammenführen und etwas Gutes tun wollte.“
Wie es sein kann, dass der Beamte seine problematische Aktion nicht als solche erkannte, kann sich auch der Bürgermeister nicht erklären.
Ukrainischer Botschafter glaubt an Spionage
Der ukrainische Botschafter sieht das alles freilich anders. Vasyl Khymynets glaubt nicht an die Naivität des Beamten: „Er ist Jurist. Er muss gewusst haben, was er tut und in wessen Interesse er handelt.“ Höchstwahrscheinlich, so Khymynets, habe der Beamte im Interesse Russlands gehandelt – wohlwissend, dass er nicht rechtens handle, da die notariell beglaubigten Vollmächte, die der Botschaft vorliegen, nicht rechtskräftig im Sinne der Haager Konvention seien. Der ukrainische Botschafter bezweifelt, dass die Mütter der beiden Jugendlichen die Vollmacht freiwillig unterschrieben haben. Immerhin seien sie damit einverstanden gewesen, dass die beiden ins Ausland reisen. Außerdem hätte es durchaus auch legale Wege gegeben, die Familien zusammenzuführen.
Khymynets fordert nun, dass der Verfassungsschutz eingeschaltet wird. Es sei bezeichnend, dass die Ombudsfrau russischen Diplomaten und Nachrichtendiensten für die Unterstützung in dem Fall dankt. „Womit befasst sich die russische Botschaft in Wien?“ fragt er – und gibt selbst die Antwort darauf: „Mit der rechtswidrigen Entführung von Kindern!“
In dem Video sehen die beiden Jugendlichen und ihre Mütter tatsächlich nicht besonders glücklich aus. Vor allem der junge Mann wirkt mitgenommen. Wenn er in zwei Jahren das Wehrpflichtalter erreicht könnte er, sollte der Krieg bis dahin andauern, eingezogen werden – und gezwungen sein, als Soldat aufseiten Russlands gegen seine alte Heimat zu kämpfen.