Gewalt gegen Politiker: Attacken statt Argumente
Was geht in einem Menschen vor, der einem der wichtigsten österreichischen Politiker eine Direktnachricht schickt, in der steht: „I schlitz di auf!“ Wie viel Hass muss sich aufgestaut haben, wie viel Verachtung für das Prinzip der Demokratie muss der Mensch empfinden? Und: Was hält den Mann eigentlich noch davon ab, dass er das, was er da tippt, nicht auch in die Tat umsetzt? Dass er einen Politiker „aufschlitzt“?
Die vergiftete Stimmung, die politischem Spitzenpersonal – und allen anderen Personen, die in der Öffentlichkeit stehen – auf Online-Kanälen entgegenschlägt, entlädt sich immer öfter auch auf der Straße: In Deutschland kam es in den vergangenen Wochen vermehrt zu An- und Übergriffen – ein alter Mann schlug in einer Bibliothek von hinten auf die Berliner SPD-Politikerin Franziska Giffey ein. Sie musste wegen Kopf- und Nackenschmerzen im Spital behandelt werden. Auch Attacken auf einfache Wahlhelfer wurden dokumentiert.
Vorgestern dann die Schockmeldung: Ein Mann schoss den slowakischen Premier Robert Fico in aller Öffentlichkeit nieder. Nur durch Glück überlebte Fico den Vorfall überlebt, sein Zustand ist weiter kritisch. Für einen anderen Politiker endete ein ähnlicher Angriff tödlich: Vor fünf Jahren ermordete ein Rechtsterrorist den CDU-Lokalpolitiker Walter Lübcke vor seinem Wohnhaus mit einem Schuss in den Kopf.
Die Parteien in Österreich sind gewarnt. Man sei mit Blick auf die anstehenden Wahlkämpfe besonders „aware“, sagt ein Wahlkampfmanager zu profil. An Wahlhelfer sei die dringende Empfehlung ausgegeben worden, keinesfalls alleine zu Hausbesuchen auszuschwärmen, sondern immer nur im Duo.
Die angespannte Sicherheitslage stellt auch die Polizei vor Herausforderungen. In Österreich genießen nur der Bundespräsident, der Bundeskanzler und der Innenminister „permanenten Personenschutz“, wie das BMI auf Anfrage erklärt. Je nach Situation kann der Schutz aber auf andere Spitzenpolitiker ausgeweitet werden. Ob das aktuell der Fall ist, will das BMI aus „einsatztaktischen Gründen“ nicht sagen. Der Staatsschutz und die Einheit Cobra würden jedenfalls individuelle Gefährdungseinschätzungen für die Schutzpersonen erstellen, aus denen sich die Schutzmaßnahmen ableiten.
Daniel Kosak, stellvertretender Kabinettschef von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) machte gestern auf der Plattform X die Verrohung des Diskurses für die Gewalt gegen Politiker mitverantwortlich: Aus Worten würden schnell Taten, aus Hass und Hetze entstünden konkrete Handlungen. „Physische Übergriffe bis hin zu Anschlägen auf Leib und Leben sind offensichtlich kein Tabu mehr.“
Gewaltopfer Giffey wurde Anfang Mai noch deutlicher. Sie sprach wörtlich von einer „Freiwildkultur“, der politisch engagierte Menschen ausgesetzt seien.
Dem lässt sich kaum widersprechen.
Vor wenigen Wochen berichtete profil-Journalistin Lena Leibetseder über die Hassnachrichten, die in den Mailboxen von Regierungsmitgliedern landen. Von Vergewaltigungs- bis zu Mordfantasien. Das Ausmaß an Verrohung und Radikalisierung ist auch Ausdruck der Ablehnung der demokratischen Prinzipien, wonach Interessenskonflikte bei Wahlen und in Parlamenten ausgetragen werden, nicht mit Fäusten und Handfeuerwaffen.
Im Netz treffen die Gewaltbereiten auf ideologisch Gleichgesinnte und wähnen sich als Teil einer schweigenden Mehrheit. Der Befund des deutschen Soziologen Holger Lengfeld von der Uni Leipzig gilt wohl auch für Österreich. Über die Hassposter und Angreifer sagt er: „Sie haben die Vorstellung, die ganze Gesellschaft wäre ihrer Meinung, aber niemand tut etwas. Soziale Medien schaffen einen Ort dafür, dass sich solche Meinungsverstärkungen bilden.“
Im Interview mit der deutschen Tagesschau sprach Lengfeld noch ein zweites Problem an, das auch für die Politiker selbst gilt: Die „gesunkene Respektschwelle“ – nicht nur gegenüber anderen Meinungen, sondern neuerdings auch gegenüber den Menschen, die sie artikulieren.
Es wäre verkürzt, an dieser Stelle einer einzigen Partei die Schuld für die aufgeheizte Stimmung in die Schuhe zu schieben. Fest steht: Abwertungen gegenüber politischen Konkurrenten wie „Mumie“, „geistiger Einzeller“, „Vollkoffer“ und „Polit-Made“ – wie sie FPÖ-Chef Herbert Kickl regelmäßig vom Stapel lässt – werden das politische Klima weiter vergiften.
Das ist wohl auch so intendiert.