Pride in Budapest

Hat Orbán die Pride genutzt oder geschadet?

Ungarns Ministerpräsident beschwört seit Jahren Feindbilder herauf. Klappt das auch mit der LGBTQ-Community?

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Viktor Orbán, der seit 15 Jahren regierende und damit dienstälteste Regierungschef in der EU, ist eigentlich ein gewiefter Polit-Taktiker. Aber mit dem Verbot der Pride hat er sich selbst ein Bein gestellt. Der Marsch war illegal. Aber am Ende gingen so viele Menschen hin, wie noch nie auf einer Regenbogenparade in der Geschichte Ungarns. Laut Veranstaltern bis zu 200.000. Bilder von der völlig überfüllten Elisabethbrücke, die über die Donau führt, gingen um die Welt. 

Auch ich bin am vergangenen Samstag über diese Brücke gelaufen. Zu diesem Zeitpunkt ließ sich die wahre Dimension des Protestes nur erahnen. Am anderen Ufer angekommen konnte ich dabei zusehen, wie immerzu neue Menschenmassen die Donau überquerten. Ein Strom an Menschen zog sich kilometerlang durch die Stadt. Was bedeutet all das für Viktor Orbán, den Regierungschef Ungarns, der die Pride ursprünglich verboten hat? 

Drei Thesen, die sich schon jetzt abzeichnen. 

Erstens: Orbán wirkt inkonsequent 

Das Verbot kam nicht aus dem Nichts, sondern war von langer Hand geplant gewesen. Orbán hatte es bereits im Februar angekündigt und dafür sogar eigens die Verfassung ändern lassen. Ein Gesetz legitimierte den Einsatz von Gesichtserkennung, um Geldstrafen zu verhängen. Ungarns Justizminister erinnerte wenige Tage vor der Pride in einem Schreiben an EU-Botschaften, dass es sich um eine illegale Veranstaltung handelt. Doch die von den Behörden über Monate aufgebaute Drohkulisse fiel am Samstag wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Anstatt Tränengas gab es Seifenblasen. Die Polizei hielt sich im Hintergrund. Die Gegendemonstranten waren so gut wie unsichtbar. Vor diesem Hintergrund sieht Orbán schwach aus. Er hat die Parade öffentlichkeitswirksam verbieten lassen, dann aber nichts dagegen getan, als sie doch stattgefunden hat. Während die Teilnehmenden der Pride ihre Ziele erreicht haben, wirkt Orbán uneinig, was der nächste Schritt sein soll. 

Zweitens: Péter Magyar redet über andere Themen 

Orbán ging es beim Verbot der Pride nicht nur darum, queere Menschen aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Das ist schon längst passiert. Seit 2021 verbietet ein Gesetz die Darstellung nicht-heterosexueller Lebensweisen in Schulen, aber auch in der Medien,- und Werbebranche. Das Pride-Verbot von 2025 zielte auch darauf ab, die Opposition zu spalten. Es war eine Falle für Orbáns politischen Gegenspieler Péter Magyar, eine neue Figur in der ungarischen Innenpolitik. Der ehemalige Fidesz-Anhänger hat seine eigene Partei namens „Tisza“ gegründet und will bei den Parlamentswahlen im Frühjahr 2026 gegen Orbán antreten. Laut einer jüngsten Umfrage liegt „Tisza“ mit 15 Prozentpunkten vor der Fidesz. Péter Magyar gibt sich pro-europäisch, aber wertekonservativ. Sein Ziel in den kommenden Monaten ist, so viele Fidesz-Wähler in ländlichen Gebieten zu erreichen, wie nur möglich. Das ist wohl der Grund, warum er nicht an der Pride teilgenommen oder sich groß dazu geäußert hat. Stattdessen spricht er weiter über Themen, die Orbán massiv schaden: die Inflation, das marode Gesundheitssystem, die von der EU eingefrorenen Milliarden. Orbán wäre es mit Sicherheit lieber gewesen, wenn Péter Magyar in die Kulturkampf-Falle getappt wäre. 

Drittens: Kein reines Minderheitenthema 

Die Pride in Budapest war kein reines Fest der queeren Community, von Schwulen, Lesben, Bisexuellen oder transidenten Menschen. Zu sehen waren immer wieder Anti-Regierungsplakate und Banner, die sich über die Fidesz-Partei lustig machen. Viele Menschen, die nicht Teil der LGBTQ-Gemeinde sind, waren auf der Straße, darunter auch heterosexuelle Paare mit ihren Kindern oder Pensionisten. Das war auch deswegen ein wichtiges Zeichen, weil Orbán das Verbot offiziell mit dem Kinderschutz legitimiert. Die ständigen Attacken auf die queere Community haben einen Solidaritätseffekt ausgelöst. Viele haben offenbar realisiert, dass es hier nicht nur um die Rechte einer Minderheit geht, sondern um die Bürgerrechte aller Menschen im Land. Denn das Verbot der Pride widerspricht demokratischen Grundwerten und dem Recht auf Versammlungsfreiheit. Umfragen zufolge ist die Mehrheit der ungarischen Gesellschaft dagegen, eine Pride-Parade zu verbieten. In Budapest, der Hauptstadt, sind es sogar 78 Prozent. 

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.