"Heuer ist alles wie früher": Menschenmassen am Rathausplatz
An manche Dinge wird man sich nach Corona erst wieder gewöhnen müssen. Familienfeste. Hochzeiten. Reisen. Mai-Feiern. Am Sonntag wollte ich ahnungslos mit der Straßenbahn vom Bahnhof nach Hause fahren. Nachmittags, eine ordentliche Wartezeit inklusive.
Daheim dämmerte es mir, es muss wohl an diesem ersten Mai liegen, der Kundgebung am Rathausplatz. profil-Kollege Gernot Bauer hatte sich da schon alles angeschaut, und seinen Bericht für seine Online-Kolumne getippt. In dem lernte ich etwas Geschichte:
"Anders als zu Fuß konnte man das Mekka des roten Wien an diesem Tag auch gar nicht erreichen. Denn so heilig war der Tag der Arbeit, dass am Vormittag per Rathaus-Dekret auch die öffentlichen Verkehrsmittel stillstanden. Erst im letzten Jahr vor der Jahrtausend-Wende dämmerte es SPÖ-Bürgermeister Michael Häupl, dass ein Fahrverbot für die U-Bahn zwar dem roten Evangelium, aber nicht mehr ganz den modernen Zeiten entsprach. Und so gilt der 1. Mai 1999 noch heute als Tag der Schande, zumindest für die Personalvertretung der Wiener Linien."
Relativ betrachtet war die Beschwerde über die Wartezeit also kleinlich.
”Heuer ist alles wie früher,” berichtet Bauer, er meint übrigens ausdrücklich nicht den Fahrplan der Wiener Linien. Aber selbst die SPÖ konnte in ihrer Aussendung zum 1. Mai nicht widersprechen. "Ein 1. Mai wie früher" - so der Titel der Aussendung der SPÖ-Wien.
Auch bei den Besucherzahlen wirkt man bei der SPÖ-Wien zufrieden: "Trotz der auslaufenden Omikron-Welle fanden sich 100.000 Menschen am Wiener Rathausplatz ein."
Über die Teilnehmerzahlen bei Demonstrationen lässt sich eigentlich immer streiten (Polizeischätzungen für die SPÖ-Feier heuer: 1500 bis 2000 Teilnehmer:innen), erfreulich aber wenn es Vergleichswerte gibt.
ZIB2-Moderator Martin Thür - auch als Excel-Fan bekannt - hat sich am Sonntag die Zahlen aus den Jahren seit 2000 angeschaut. Und eine auffällige Konstanz festgestellt.
Bei den 21 Mai-Feiern seit dem Jahr 2000 waren 15 Mal laut SPÖ-Angaben 100.000 Personen anwesend.
Positiv betrachtet darf sich die SPÖ über eine konstanten Fanbasis in Wien freuen. Bleiben Sie aber auch in diesem Punkt kritisch. Oder nehmen Sie es als Zeichen einer Corona-Atempause: "Alles wie früher."
Sebastian Pumberger