Betriebe unter Wasser: Wie ein Lebenswerk im Schlamm unterging
Auf der Anrichte in der kleinen Betriebsküche liegt ein Kugelschreiber. Er schreibt nicht mehr, weil er in der untersten Schublade lag und wie alle Gegenstände dort unter Wasser stand. Der Linoleumboden wellt sich. Auf dem Tisch neben der Anrichte liegt ein olivgrünes Notizbuch. „Hochwasser Schäden 2024“ ist darauf zu lesen. „Wir sehen jetzt nach und nach, was alles kaputt gegangen ist“, erzählt Franz Weichberger. Er ist einer der Geschäftsführer des Holzwerk Harold im niederösterreichischen Plankenberg. Vor einer Woche stand die Betriebsküche knietief unter Wasser. Und die Schadensliste in Herrn Weichbergers Notizbuch wird jeden Tag länger.
Die Zimmerei Harold liegt inmitten des Hochwassergebiets in Niederösterreich, am Ufer der übergelaufenen „Großen Tulln“. Vor rund 100 Jahren hat sich der holzverarbeitende Betrieb hier angesiedelt und hat lange Zeit die Wasserkraft für den Betrieb der Maschinen – der Sägen und Fräsen – genutzt. Bis vor kurzem wurden hier noch Dachstühle, Terrassen, Fertigteilhäuser oder Holzfenster hergestellt und meist in den umliegenden Baustellen oder bei Sanierungen verbaut. Jetzt haben die Wassermassen aber so gut wie alles auf dem über zwei Hektar großen Firmenareal vernichtet. Alle Keller waren geflutet, in den Betriebshallen stand das Wasser eineinhalb Meter hoch.
Lager trieb davon
Um 19 Uhr lief das Wasser über die Ufer der „Großen Tulln“. Das war am Sonntag, dem 15. September. „Da haben wir noch alle Autos und Fahrzeuge weggestellt“, sagt Weichenberger. Dann ging es ganz schnell, Meter um Meter kam das Wasser näher. Um 21 Uhr floss das Wasser über die Betriebsanlage, um 22 Uhr war alles überflutet. „Ich bin dann durch das Wasser gewatet und habe mich völlig machtlos gefühlt. Im Endeffekt kannst du nur zusehen, wie alles vor deinen Augen davontreibt.“
Holz schwimmt nämlich im Wasser. Und deshalb wurde das gesamte Lager der Holzfirma einfach weggeschwemmt. Holzbalken und Scheitel lagen kreuz und quer über das Areal verteilt. „Wir haben 12 Meter lange Latten eineinhalb Kilometer von hier im Maisfeld gefunden“, sagt Leopold Harold. Er und sein Geschäftsführerkollege haben mit zwei weiteren Mitarbeitern den Betrieb 2011 von Harolds Onkel übernommen, als dieser in Pension ging. Alle haben ihr gesamtes Berufsleben hier zwischen den Holzteilen verbracht. Weichberger heuerte mit 15 Jahren als Lehrling hier an. Wenn er von den Schäden des Hochwassers erzählt, füllen sich seine Augen immer wieder mit Tränen.
Alles auf Anfang
Die beiden Geschäftsführer des Holzwerks, Franz Weichberger (l.) und Leopold Harold, auf dem Werksareal ihrer Firma. Alles stand hier unter Wasser.
Die Zimmerei mit rund 30 Angestellten ist einer von bisher 650 Betrieben, die in Niederösterreich vom Jahrhunderthochwasser beschädigt wurden. Laut der Wirtschaftskammer in Niederösterreich melden sich laufend neue Firmen. Der Schaden lässt sich auch zehn Tage später noch nicht genau beziffern. Es ist so gut wie alles hin. Die Heizung, die erst vor drei Jahren eingebaut wurde, muss ausgetauscht werden – 100.000 Euro Schaden. Alle holzverarbeitenden Maschinen bis auf eine müssen ersetzt werden – auch das wird hunderttausende Euro kosten. Druckerpapier, Computer, die im Erdgeschoß standen, die Holzböden – alles kommt auf die Schadensliste ins Notizbuch.
Zig Tonnen Holz sind noch nass, verbogen oder schimmeln schon vor sich hin. Und auf alles hat sich eine dünne Schlammschicht gelegt, die jede Holzfaser und jede Schraube verdreckt und beschädigt hat. Jedes einzelne Holzbrett und jeder Holzscheitel werden jetzt von Hand geputzt und zum Trocknen aufgelegt. Vielleicht kann er es ja irgendwann doch für etwas verwenden, wenn nicht als Holzzaun, dann zumindest zum Heizen. „Wir müssen jetzt wieder ganz von vorne beginnen, alles von null weg“, klagt Weichberger. „Es wird Monate dauern, bis wir wieder normal arbeiten können.“
Nur, mit welchem Geld? „Gegen Feuer kannst du dich versichern lassen. Aber gegen Hochwasser so gut wie gar nicht“, meint Harold. Der Betrieb ist, wie alle in den betroffenen Gebieten, auf Zahlungen aus dem Katstrophenfonds angewiesen. Dieser übernimmt auf Antrag die Hälfte der Ersatzrate, also der Schadsumme, in Härtefällen bis zu 80 Prozent. Acht Millionen Euro wurden laut der zuständigen Landesabteilung bereits ausbezahlt. Einen Rechtsanspruch gibt es aber nicht und Versicherungsleistungen werden in der Schadsumme gegengerechnet. Den Rest muss man selbst bezahlen.
Was derzeit keine leichte Aufgabe für die vielen kleinen Betriebe in der Hochwassergegend ist – alle sind mit aufräumen beschäftigt. Viele Aufträge wurden storniert oder auf Eis gelegt. Während Rechnung und Löhne weiterbezahlt werden müssen, kommt derzeit kaum Geld herein. Harold und Weichberger fordern deshalb etwa eine Stundung von Sozialversicherungsbeiträgen oder anderen Lohnnebenkosten für betroffene Betriebe.
Zurück in die kleine Betriebsküche. Draußen regnet es wieder. Nachbarn und befreundete Betriebe haben Jausenpakete für die Belegschaft vorbeigebracht. In den Tagen nach der Flut haben Familienmitglieder und Freiwillige hier beim Aufräumen und Putzen geholfen. Zumindest der soziale Kitt hält noch.