House of Hybris
Heute ist ein schmerzhafter Tag für die gesamte „profil”-Redaktion. In einer Gedenkveranstaltung in einem seiner Lieblingslokale, dem „Finsteren Stern” in Wien, werden wir uns versammeln, um unseres kürzlich verstorbenen, langjährigen Chefredakteurs Sven Gächter zu gedenken.
In einem seiner letzten großen Lesestücke „Die eilige Dreifaltigkeit“ widmet sich der gebürtige Schweizer dem Untergang des Qualitätsjournalismus, jenem „elementarem Treibstoff der Informationsgesellschaft”, dessen „Marktwert” im Zuge des Internetschocks so dramatisch verloren gegangen ist. Für den „durchschnittlichen FPÖ-, Pegida-, AfD-, Identitären-, AltRight-oder 8Chan-Anhänger”, so schreibt Gächter, gelten die klassischen Medien als „Sprachrohre eines korrupten, an der wahren Bewusstseinslage des „Volkes” fundamental desinteressierten Elitensystems” und fallen pauschal in die Kategorie „Lügenpresse”.
Nach der Lektüre des kompletten Chat-Sets zwischen dem Neo-„Kronzeugen” Thomas Schmid und dem „Presse”-Herausgeber und Chefredakteur Rainer Nowak bleiben einem solche Gedankengänge leider partiell nachvollziehbar. Ein Dramolett, das von Minimundus-Machiavellismus nur so trieft, und einen in einem Gefühlscocktail aus perplexer Schockstarre, amüsiertem Voyeurismus und Trauer angesichts des Imageverlusts, der sich in weiterer Konsequenz in unserer gesamten Branche fest frisst, belässt. Das hat sich die Redaktion der „Presse” nicht verdient.
Allein die Wahl des schnoddrig postpubertären Vokabulars erzählt allzu viel über die Protagonisten. Schmid ( in dem Fall zu Finanzminister Schelling) werde Nowak „die Eier abreissen”, wenn er „nicht endlich einmal besser kommentiert”. „Alter, dann geht’s ab” (Schmidt über Nowaks geäußerten Wunsch, ORF-Generalintendant zu werden), Nowak apportiert ein Korrektum („Rausgenommen die Formulierung) an einem unerwünschten Wording in einem „Presse”-Artikel, in weiterer Folge schickt Schmid ein knappes „Dank für alles” plus Kuss-Smiley los; auf dem Weingut des Industriellen Stanislaus Turnauer plane man „einen Bubenurlaub” (Nowak). Die ebenfalls diese Woche ruchbar gewordenen digitale Plauderei des ORF-Chefredakteurs Matthias Schrom mit Heinz-Christian Strache über FPÖ-wohlwollende Berichterstattung in der ZiB bestärkt einem nur noch in dem Glauben, dass die Welt tatsächlich so tickt, wie sie sich der kleine Moritz vorstellt.
Babylon Wien. Der deutsche Comedian Jan Böhmermann plant mit Sicherheit demnächst ein Ösi-Spezial, seine liebste „Bananenrepublik” lässt den austro-affinen Mann mit neuem Stoff nie im Stich.
Die Fortsetzungs-Dramedy der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft innerhalb der letzten Wochen zeigt, dass Hybris wie Kokain unter Machtmenschen wirkt. Gerüstet mit einer Mischung aus Vermessenheit, Selbstüberschätzung, Hochmut, Anmaßung und einem rational nicht zu erklärenden Allmachts- und Unverwundbarkeitsgefühl, spielten sie DKT mit dem Wertesystem der Republik. Erste Reihe Futtertrog. Während in der antiken Dramatik Selbstüberschätzung ausnahmslos mit dem totalen Untergang bestraft wurde, lief das in der österreichischen Realität oft und lange anders. „Ibiza” und dem „Kastl” (wie Schmid und Ex-Kanzler Kurz in einem Telefonat die externe Festplatte bezeichneten, die soviel ins Rollen brachte) sei Dank sind die Weichen jetzt etwas anders gestellt. House of Hybris laboriert an einem Chat-Lag. Und wird sich hoffentlich nie davon erholen.
Es wird weiter abgehen, Alter. Aber in die andere Richtung.
Bleiben Sie uns gewogen. Denn noch nie war Qualitätsjournalismus mit dem Echtheits-Gütesiegel so wichtig wie heute.
Ihre
Angelika Hager