Protestaktion von Frauenrechtsorganisationen in Wien
Morgenpost

Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen: Hört den Frauen zu!

Heute ist der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Schaffen wir das?

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Es waren befremdliche Szenen, als sich am vergangenen Sonntag etwa 150 Menschen im oberösterreichischen Scharten versammelten, um den ehemaligen Bürgermeister der Gemeinde zu unterstützen. Die Protestierenden verliehen ihrer Meinung, der Sexualstraftäter sei unschuldig, Nachdruck; einen Tag später wurde der Beschuldigte wegen dreifacher Vergewaltigung, sexueller Übergriffe und Verleumdung einer ehemaligen Arbeitskollegin zu sieben Jahren Haft verurteilt. Tätern wird typischerweise oft eher geglaubt als den Opfern. Jetzt meldet sich die Mutter des Vergewaltigungsopfers in den "Oberösterreichischen Nachrichten” zu Wort und schildert die Ausgrenzung, die ihrer Familie in der kleinen Gemeinde widerfährt. Sie sagt: “Das Leben in Scharten wird meiner Tochter und mir zur Hölle gemacht.”

Ortswechsel: In Wien haben zuletzt mehrere mutmaßliche Vergewaltigungen in Flüchtlingskreisen für Bestürzung gesorgt; ein Gutteil der Berichterstattung konzentrierte sich auf die Frage, aus welchem Milieu die 11- und 14-jährigen Mädchen kommen würden. Zeitgleich haben sich drei junge Afghanen wegen Vergewaltigung mit Todesfolge und schweren sexuellen Missbrauchs am Wiener Landesgericht zu verantworten (ein Urteil wird Anfang Dezember erwartet). Der “Fall Leonie” hat im Juni 2021 das ganze Land erschüttert. Mein Kollege Clemens Neuhold, der zu diesen Fällen im aktuellen profil recherchiert hat, schreibt: “Bei den meisten der insgesamt 943 Vergewaltigungen, die 2021 in Österreich angezeigt wurden, waren Opfer und Täter bekannt.” Was bleibt: überschaubare Maßnahmen der Frauen- und Integrationsministerin und Handlungsbedarf bei der zuständigen MA 11 in Wien. Für mich heißt das: Man muss genauer hinschauen, den Frauen und Mädchen besser zuhören.

Heute, am Orange Day, dem Internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, kann man nicht aufhören, diese Geschichten zum Thema Nummer eins zu machen. Denn: Vergewaltigungen, Gewalt und Femizide stehen, und das ist traurige Realität, in Österreich an der Tagesordnung. 2021 gab es in Österreich 29 Frauenmorde, heuer sind es laut der Frauenorganisation Soroptimist International Austria bereits 28 (Stand: 17.10.2022). Generell heißt es auf der Website der Österreichischen Frauenhäuser über die Gewaltspirale in Österreich: Jede fünfte Frau ist ab ihrem 15. Lebensjahr körperlicher und/oder sexueller Gewalt ausgesetzt. Jede dritte Frau musste seit ihrem 15. Lebensjahr eine Form von sexueller Belästigung erfahren. Jede siebte Frau ist ab ihrem 15. Lebensjahr von Stalking betroffen.

Während ab heute wieder die “16 Tage gegen Gewalt” ausgerufen werden – vom 25. November bis zum 10. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschenrechte – lassen einen diese bloßen Statistiken ratlos und erschüttert zurück. Vielleicht geben sie aber auch Anlass und Hoffnung, das nächste Mal genauer hinzusehen, einmal mehr zuzuhören und nachzufragen. Die Autorin Margarete Stokowski schreibt in ihrem modernen Feminismus-Klassiker “Untenrum frei” (2016) über ihre eigene Missbrauchserfahrung als Teenagerin: “Ich kann es nicht mal mir selbst erzählen, ich habe keine Worte.” Und: “Dass die Gefahr mitten in meinem Alltag liegen würde, hatte ich nicht geahnt.” Heißt für uns: 16 Tage sind ein guter Start – aber definitiv nicht genug.

P.S. Apropos Menschenrechte: In Katar wird dieser Tage die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer ausgetragen. Was ich bisher über das Turnier mitbekommen habe, hat weniger mit Sport als mit Symbolik zu tun. Und das hat ja viel Gutes: Die Welt häutet sich, Ungerechtigkeiten kommen zum Vorschein, Menschenrechte sind endlich wichtiger als ein Fußball-Ergebnis zwischen zwei Nationen. Ich freue mich darauf, was bei dieser WM noch so alles aufbrechen wird. Übrigens: Mein Kollege Maximilian Mayrhofer hat die Farce um die #OneLove-Armbinden schön zusammengefasst – und erklärt, warum Deutschland nur der stille Protest bleibt.

Sind Sie von Gewalt betroffen? Rufen Sie die Frauen-Helpline Österreich unter 0800/222 555 oder besuchen Sie die Website frauenhelpline.at. Hier finden Sie Infos und Kontaktdaten zu allen Schutzeinrichtungen in Österreich.

Ich wünsche Ihnen einen guten Start ins Wochenende. Und: All you need is love.

Philip Dulle

 

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Von 2009 bis 2024 Redakteur bei profil.