Morgenpost

Ist Dominik Wlazny mehr als eine Polit-Sternschnuppe?

Die Politikverdrossenheit ist groß, das eröffnet neuen Parteien Chancen. Nicht zum ersten Mal.

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Die Krise war ernst. Ministerinnen und Minister verhandelten nächtelang durch, um Rettungsmaßnahmen auszutüfteln und die Wirtschaftskrise abzumildern, Regierungschefs quer durch Europa schnürten milliardenschwere Hilfspakete. In Österreich sank das Vertrauen in die Regierung auf Tiefststände, Politikverdrossenheit grassierte. Das wussten Neulinge zu nutzen: Sie punkteten mit wilder Frische und bekamen Zuspruch von vielen, die den bestehenden Parteien keine Lösungen mehr zutrauten.

So schaute die politische Gemengelage heute vor zehn Jahren in Österreich aus: Die Finanzkrise wirkte nach, die Eurokrise auch, sie hatten Banken, Arbeitsmarkt und Währung erschüttert. Und Kanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP) kämpften gegen schlechte Umfragewerte und wachsendes Misstrauen gegen die Politik.

In dieses politische Vakuum stießen neue Parteien vor: Die Piratenpartei, die von digitaler Demokratie schwärmte und via Internet alle Menschen beteiligen wollte. Sie galten als Hoffnung für Junge und eroberte Gemeinderäte in Uni-Städten wie Innsbruck oder Graz. Die Neos, angeführt vom Charismatiker Matthias Strolz, die vor Begeisterung sprühten und es mit Liberalismus probierten. Und Milliardär und Wutbürger Frank Stronach, der einige Abgeordnete von BZÖ, ÖVP und FPÖ zusammensammelte, gegen das „System“ wetterte, auf rechten Populismus setzte und damit in den Nationalrat und einige Landtage einzog.

Ein Jahrzehnt später ist von diesen damaligen neuen Polit-Sternen nur mehr ein Drittel übrig: Frank Stronach irrlichterte sich durch Fernsehauftritte, forderte die Todesstrafe für Berufskiller und anderen Unfug. 2017 löste sich das Team Stronach auf.

Der Piratenpartei ging es nicht viel besser: Sie kämpften mit internem Streit und Parteiausschlüssen, der Innsbrucker Inn-Pirat wurde wegen Kalamitäten mit dem Suchtgiftgesetz verurteilt, das Internet erwies sich doch nicht als Demokratie-Wunderwaffe. Manchmal treten die einstigen jungen Wilden noch an, etwa 2021 in Graz, kommen dabei aber nicht über 0,4 Prozent-Ergebnisse hinaus.

 

So wie ihnen ging es auch anderen Polit-Sternschnuppen: Peter Pilz‘ Partei „Liste Pilz“ flog nach zwei Jahren schon wieder aus dem Parlament, Heide Schmidts „Liberales Forum“ konnte nach der Abspaltung von der FPÖ kurz glänzen, bevor es langsam verschied (und dann in den Neos aufging). Und die Impfgegner-Partei MFG, die Polit-Überraschung des Jahres 2021, kämpft bereits jetzt mit Auflösungserscheinungen und Rücktritten. Ihre Zeit scheint schon wieder vorbei, Corona als Top-Thema Geschichte zu sein.

Nur die Neos, das erfolgreiche Polit-Startup des Jahres 2012, konnte sich in der Parteienlandschaft, nach zähen Anläufen auch in Landtagen und in Landesregierungen, etablieren. Von dieser Neugründung können die Freelancer, die jetzt bei der Bundespräsidenten-Wahl antraten und teils Überraschungserfolge feierten, lernen, was es braucht, um mehr als ein One-Hit-Wonder zu sein: Ein Parteiprogramm. Mehr als eine Person. Und vor allem: Zähe Arbeit.

Wird Dominik Wlazny mehr sein als eine Polit-Sternschnuppe? Werden sich im Jahr 2032 nur mehr Polit-Feinspitze an den Mediziner und Musiker erinnern, als jenen Mann, der sich während der Bundespräsidentenwahl vom Spaßvogel zum Hoffnungsträger wandelte, der anders aussah und anders sprach, der es – ungewohnt in Österreich – mit Populismus von links versuchte, geschickt auf der Welle der Politikverdrossenheit surfte und viele  Junge begeisterte? Und in Wien zur Überraschung vieler den zweiten Platz belegte, noch vor dem FPÖ-Mann? Oder wird Wlazny in zehn Jahren einen festen Platz in der heimischen Innenpolitik erobert haben?

 

Dieser Frage gehen wir im aktuellen profil nach – und erkunden auch, ob Kandidaten wie Tassilo Wallentin, die One-Man-Show ohne Wahlkampfleiter,  gekommen sind, um zu bleiben. Oder ob es beim Erstkontakt mit dem Politbetrieb bleibt.

Bundespräsident werden sie jedenfalls nicht, das bleibt Alexander Van der Bellen. Der Wahlkampf vorbei, höchste Zeit, sich wieder mit grundlegenden Fragen zu befassen. Etwa jener: „Wen soll Europa hereinlassen“, fragt Migrationsexperte Gerald Knaus – in unserer Rubrik „Streit“ und prognostiziert einen „historischen Flüchtlingswinter in Europa“. Damit werden alle Parteien gefordert sein, etablierte und neue.

Haben Sie einen schönen Mittwoch!

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin