Morgenpost

Jacinda Ardern hat Neuseeland auf die Karte gesetzt

Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern tritt zurück. Eine Politikerin, die selbst im Abgang ein Vorbild ist.

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Wenn uns das Internet vergangenes Jahr eines gelehrt hat, dann auf unser Wohlbefinden zu achten – eines der wenigen positiven Überbleibsel aus einer nachpandemischen und terrorgezeichneten Ära. Auf TikTok und Instagram sprudelte es regelrecht an Impulsen zu “Quiet Quitting” und “Self-care“ (dt. Selbstfürsorge). Bei “Quiet Quitting" kündigt man nicht direkt, sondern gibt die Idee auf, seine persönlichen Grenzen im Job nicht einhalten zu müssen. “Dein Wert als Person ist nicht durch deine Produktivität am Arbeitsplatz definiert“, lautet im Prinzip die Lehre des Trends aus 2022.

Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern traf den Zeitgeist, als sie am gestrigen Donnerstag überraschend bekanntgab, ihr Amt mit 7. Februar niederzulegen. Sie kündigt jedoch nicht in aller Stille, auch wenn ihre Stimme dabei zittert: „Ich weiß, was dieser Job verlangt und dass ich nicht mehr genug Energie in meinem Tank habe, um ihm gerecht zu werden. So einfach ist das.“

Durch ihren Umgang mit einer Massenschießerei im Jahr 2019 und ihre Politik während der COVID-19-Pandemie wurde Ardern weltweit zu einem politischen Star.

In den Tagen nach dem Attentat in Christchurch zeigte sie sich mitfühlend, umarmte Muslime und sprach mit Hinterbliebenen. Weltweite Anerkennung bekam sie dafür, nie den Namen des Attentäters ausgesprochen zu haben: "Er wollte viele Dinge mit seinem Akt des Terrors erreichen. Eines davon war, berühmt zu werden. Deshalb werden Sie von mir niemals seinen Namen hören", sagte sie.

Die Regierungschefin des Pazifikstaats macht sich aber nicht nur mit Empathie, sondern auch mit Witz auf Sozialen Medien populär. Etwa als Neuseeland 2018 eine Kampagne startet, um auf Weltkarten nicht mehr vergessen zu werden – selbst der schwedische Köttbullar- und Möbelriese Ikea hatte den „Lord of the Rings“-Drehort von der Weltkarte radiert. Ardern schrieb in Unterstützung der Internet-Aktion #getNZonthemap auf ihrer Facebook-Seite: "Manche nennen es eine Verschwörung, manche ein Versehen. Egal: Es ist jetzt an der Zeit für eine kleine Kampagne." Nach fünfeinhalb Jahren an der Regierungsspitze ist es Jacinda Ardern gelungen, ihr Land auf die Weltkarte zu setzen.

Für eine Politikerin „am anderen Ende der Welt“ hat sie ganz schön viele internationale Fans. Terror in Christchurch, ein Vulkanausbruch und eine globale Pandemie: Was Sie auch immer von ihrer Politik halten, Gründe für ihren Rücktritt hätte die 42-Jährige schon lange, nach einem schwierigen halben Jahrzehnt an der Regierungsspitze Neuseelands. Ganz nebenbei war sie auch erst die zweite Staatschefin der Welt, die während ihrer Amtszeit ein Kind bekommen hat (nach der früheren pakistanischen Premierministerin Benazir Bhutto). Dennoch: „Ich gehe nicht, weil es schwierig ist. Wäre das der Fall gewesen, hätte ich wahrscheinlich schon nach zwei Monaten aufgehört zu arbeiten,“ sagte die 42-Jährige.

Mit 37 Jahren wird die Labour-Politikerin 2017 die damals jüngste Ministerpräsidentin der Welt. Sie hat das Parlament in Wellington divers wie nie besetzt. Zum Kabinett gehören zahlreiche Frauen sowie mehrere Maori und LGBTQ-Personen.

Ob ihr:e Nachfolger:in die gleichen Werte vertreten wird? Schon am Sonntag soll ein neuer Vorsitzender der Labour-Partei gewählt werden. Beobachter:innen nennen Chris Hipkins (44), der während der Corona-Krise der Minister zur Eindämmung der Pandemie war, sowie Justizministerin Kiri Allan (39) als mögliche Kandidat:innen.

Warum aber nicht noch ein paar Monate bis zu den Parlamentswahlen im Oktober warten – und die Amtszeit eben à la Quiet Quitting auslaufen lassen? Erstens hat man bei einem sich einschleichenden Burn-Out nicht mehrere Monate Zeit bis zum Ausbrennen. Zweitens ist ihr zeitiger Rücktritt taktisch sinnvoll und gibt der Partei eine Chance, eine neue Person an der Spitze zu promovieren.

Nun lieben sie nicht alle. Seitdem sie nach dem Christchurch-Attentat die Waffengesetze verschärfte, gelten ihr immer wieder Hassbotschaften aus den USA. Abgesehen davon ist sie als liberale Spitzenpolitikerin wiederholt Hauptcharakter rechtsextremer Verschwörungstheorien. Fox News-Moderator Tucker Carlson nannte die neuseeländische Premierministerin "die Dame mit den großen Zähnen", „die autoritärste Führerin, die das Land je hatte“ und eine "chinesische Marionette", kurz nachdem sie ihren Rücktritt angekündigt hatte. Auch im Inland sank letztlich die „Jacindamania“ laut Umfragen, als die Wirtschaft nach der Pandemie abflaute.

Beim Besuch der finnischen Ministerpräsidentin Sanna Marin in Neuseeland vergangenen November, wurden die beiden als zwei der jüngsten Regierungschefinnen gemeinsam mit einer sexistischen Reporterfrage konfrontiert, ob sie sich nur wegen des ähnlichen Alters oder anderer Gemeinsamkeiten treffen. "Natürlich haben wir einen hohen Anteil an Männern in der Politik. Das ist die Realität", kontert Jacinda Ardern prompt. Wenn sich zwei Frauen träfen, liege das nicht einfach nur an ihrem Geschlecht.

Job und Leben unter einen Hut zu bringen oder als Frau nicht ernstgenommen zu werden – Ardern geht stets offen mit diesen Herausforderungen um und erntet Sympathien. Als sie bei einem Livestream gerade über neue Corona-Regeln spricht, wird sie von ihrer damals dreijährigen Tochter unterbrochen: „Du solltest im Bett sein, mein Schatz", sagt Ardern lachend. "Es ist Schlafenszeit. Ich komme gleich und schaue nach dir."

Ich wünsche Ihnen, dass Sie am Wochenende Energie tanken können!

Elena Crisan

Elena Crisan

Elena Crisan

Wenn sie nicht gerade für den Newsletter "Ballhausplatz" mit Politiker:innen chattet, schreibt sie im Online-Ressort über Wirtschaft und Politik.