Kafka-Gefühle am Weltfrauentag
Guten Morgen am Weltfrauentag. Ich bin total bei Ihnen, stellen Sie noch einmal auf Snooze, denn die Realität kann warten. Von der bekommt man ja doch nur Migräne. Wir sind im fortgeschrittenen ersten Viertel des 21. Jahrhunderts. Und dennoch verfestigt sich zunehmend das Gefühl, dass sich das Debatten-Ringelspiel seit Jahrzehnten um die selben Themenkreise dreht: Lohn-Schere (in Österreich Stand 2022 18,4 Prozent) und deutlich über dem EU-Schnitt; extrem hohe Teilzeit-Beschäftigungsrate und ein mangelhaftes Kinderbetreuungs-Angebot als Ursachen für Altersarmut unter Frauen (vor allem bei Alleinerzieherinnen). Nicht zu vergessen noch immer keine verpflichtende Ganztagsschule (ein weiterer Grund für die hohe Teilzeitbeschäftigungs-Rate), denn nach Unterrichtsschluss werden (vor allem auf dem Land) die Kinder noch immer in zwei soziale Klassen geteilt: die, die heim an Mutters dampfende Töpfe dürfen und jene, die im „Hort“ (was für ein hässliches Wort, fast so hässlich wie Fremdbetreuung) verparkt werden. „Kann man als Mutter und Hausfrau glücklich sein?“ wurden wir von unseren Kollegen Robert Treichler und Sebastian Hofer im Zuge eines 65-Fragen-Katalogs in der aktuellen profil-Covergeschichte gefragt. Ja, aber wahrscheinlich nur mit einer Erbschaft oder einem anderen finanziellen Sicherheitsfaktor, der Unabhängigkeit garantiert. Und dennoch hört man auch unter jungen Frauen knapp nach einer Familiengründung die Retro-Sätze: „Ich muss nicht arbeiten gehen. Mein Mann verdient genug.“ Backlash, aber hallo! Die Scheidungsrate sollte Grautöne in diesen fröhlichen Retro-Optimismus zwängen.
Im Zuge eines der vielen profil-Interviews mit der deutschen Star-Feministin stellte ich (damals Mutter einer Fünfjährigen) Alice Schwarzer die Frage „Wie haben Sie sich das eigentlich mit der Doppelbelastung so vorgestellt? Man ist ja dauermüde.“ Und sie antwortete damals klar: „Mädels, ihr müsst einfordern. Kein Mensch und schon gar kein Mann gibt Privilegien freiwillig ab.“ Gilt bis heute. Oder heute mehr denn je. Denn tatsächlich fühlt man sich angesichts der Nachrichtenlage wie in einem Franz-Kafka-Szenario (Wolfgang Paterno hat übrigens eine herrliche Geschichte über die unentdeckten Seiten des Genies geschrieben, dessen Todestag sich am 3. Juni zum 100. Mal jährt.) Früher war tatsächlich weniger Kafka, zumindest hatte man den Eindruck. Denn ein Mann, dessen Übergriffs-Biografie Mammut-Dimensionen hat und der auch sonst einen reichen Bauchladen an Irrsinn wie Finanzbetrug und Ermunterung zum Sturm auf das Capitol anzubieten hat, könnte der nächste US-Präsident werden. Und keinen regt das noch besonders auf.
Mit so einer tiefschwarzen Weste würde man hier nicht einmal einen Job als Heckenbeauftragter im Gartenamt bekommen. Angesichts einer solchen gesellschaftspolitischen Verwandlung fällt die Frauenministerin Susanne Raab, die mit dem Begriff Feministin relativ wenig anzufangen weiß und ihn für sich nicht beansprucht, gar nicht mehr so sehr ins Gewicht.
Ein Variante zu Kafkas „Verwandlung“ bieten auch die Metamorphosen des René Benko, der vom vielseitig gehuldigten „Ösigarchen“ zum Bruchpiloten eines superkapitalistischen Traums geworden ist. Und mit seinem Signa-Geflecht eine Milliardenpleite hinlegt, die vielen Politikern und Investoren einen unruhigen Schlaf beschert. Der rasante Aufstieg eines Tiroler Superyuppies zum Mega-Pleitier ist der Ausgangspunkt für den mehrteiligen Investigativ-Podcast, den unser Investigativ-Team, bestehend aus Chefredakteurin Anna Thalhammer, Wirtschaftsressortleiterin Marina Delcheva und Investigativ-Reporter Stefan Melichar in wochenlanger Recherchearbeit und vielen Gesprächen zusammengestellt haben. Unsere Abonnenten können den Wirtschaftsthriller in allen Folgen sofort „bingen“, ansonsten sind die Podcast-Folgen jeweils am Montag und Donnerstag abrufbereit. Noch ein Grund, schnell eines unserer nahezu beschämend günstigen Testabos abzuschließen. Auch die Titelgeschichte der am Samstag erscheinenden profil-Ausgabe wird viele Antworten auf die alles beherrschende Fragen „Wie konnte Benko solange damit durchkommen und wer hat davon gewusst?“ liefern.
Bleiben Sie forderfreudig
(aber nur wenn Sie eine Frau sind)