Kann Ägypten das Migrationsproblem der EU lösen?
Die Europäische Union hat ein Problem. Es kommen zu viele Flüchtlinge und Migranten über das Mittelmeer nach Europa, und dagegen hat bisher wenig geholfen, zumindest nicht langfristig. Um die Zahlen zu reduzieren, vereinbart die EU regelmäßig Abkommen mit Drittstaaten – und am vergangenen Sonntag war es wieder einmal soweit.
Da reiste eine europäische Delegation nach Kairo, um einen Deal mit Ägyptens autoritärem Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi zu vereinbaren.
Ägypten soll von der EU Darlehen in Höhe von fünf Milliarden und Investitionen von 1,8 Milliarden Euro bekommen. Weitere 400 Millionen fließen in bilaterale Projekte, 200 Millionen in Programme für das Migrationsmanagement. Im Gegenzug soll Ägypten seine Grenzen zu Libyen und zum Sudan besser sichern und die illegale Migration in die EU eindämmen. Als Vorbild dient das Abkommen der EU mit Tunesien, nur: Funktioniert hat das bisher nicht wirklich. Kann es diesmal anders sein?
Taugt der Deal mit Ägypten zur Eindämmung der Migration nach Europa?
„Ich bin sehr skeptisch“, sagt dazu die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger von der Wirtschaftsuniversität Wien – und weist darauf hin, dass sich nach der Vereinbarung mit Tunesien sogar noch mehr Menschen von dort auf den Weg nach Europa machten.
Das liegt daran, dass es zu einer Art „Jetzt-Oder-Nie-Schub“ kam: „Weil sich das Fenster für eine Überfahrt zu schließen droht, wollen viele nicht mehr warten und die Zahlen steigen zunächst an.“
Diese Gefahr, so Kohlenberger, bestünde auch beim Deal mit Ägypten.
Hinzu kommt die prekäre Lage der Wirtschaft und der Menschenrechte in dem nordafrikanischen Staat. Menschenrechtler sind empört über den Deal der EU mit Ägypten, immerhin regiert der ehemalige General Al-Sisi, der sich 2013 an die Macht putschte, sein Land mit harter Hand. Demonstrationen sind de facto verboten, die Meinungsfreiheit ist stark eingeschränkt, Kritiker werden verfolgt.
Soll die EU mit korrupten und autoritären Staaten zusammenarbeiten?
Die EU müsse zwar auch mit schwierigen Staaten zusammenarbeiten, sagt Kohlenberger, allerdings mit Vorsicht und unter der Auflage bestimmter Konditionen: Man müsse erstens sicherstellen, dass die Wirtschaftshilfen bei der Bevölkerung ankommen, und zweitens Druck auf Al-Sisi ausüben, damit sich die Menschenrechtsbilanz in Ägypten verbessert.
Gelinge das nicht, laufe man in Gefahr, langfristig zu einem Anstieg der Menschenrechtsverletzungen beizutragen und so noch mehr Fluchtursachen zu erzeugen.
Nach Kairo begleitet wurde EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen von EU-Staats- und Regierungschefs, darunter Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Italiens Premierministerin Giorgia Meloni.
Ziel sei es, Asylverfahren in sichere Drittstaaten zu verlagern und dorthin auch abzuschieben, sagte Nehammer. Dafür müsse man „Tabus brechen“. Mit der Aussage ist Nehammer auf Linie mit seiner Parteienfamillie auf EU-Ebene, der Europäischen Volkspartei EVP. In ihrem Wahlprogramm schlägt sie genau das vor – Stichwort Ruanda. Nicht nur die britischen Konservativen wollen Flüchtlinge nach Ruanda abschieben, damit sie dort Asyl beantragen. Das Modell wird auch in der EU immer populärer, selbst die deutsche Ampel-Regierung diskutiert die Idee.
Das Problem: Ruanda ist kein sicherer Drittstaat – Menschen dorthin abzuschieben wäre ein Bruch des Völkerrechts. Und Kohlenberger nennt noch ein pragmatisches Argument gegen die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten: den Kostenfaktor. „Die Ausgaben für Transport, Unterbringung und die Finanzhilfen würden in die Billionen gehen“, sagt die Expertin – und nennt als Beispiel Australien, das Flüchtlinge auf Inseln unterbringt: „Das kostet pro Flüchtling jährlich mehr als vier Millionen US-Dollar.“
Wie kann die illegale Migration in die EU eingedämmt werden?
Eines ist neu am Abkommen der EU mit Ägypten: Es sieht auch legale Möglichkeiten zur Einreise nach Europa vor.
Die EU habe „oft und zu lange den Fehler gemacht, ,von oben herab‘ zu agieren“, sagte Nehammer nach den Gesprächen in Kairo. Es brauche „Abkommen, die für beide Seiten gewinnbringend sind“. Damit klingt Nehammer fast wie die vielen Migrationsexperten, die seit Jahren legale Wege in die EU fordern. Und tatsächlich sieht das Abkommen mit Ägypten Arbeitsvisa und Ausbildungspartnerschaften für ägyptische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger vor.
„Dieser Aspekt ist durchaus positiv“, sagt Kohlenberger, „legale Wege können die Zahl der irregulären Ankünfte durchaus reduzieren“. Für Österreich würde sich damit aber nicht viel ändern: Hier sind nur ein paar hundert Ägypter in der Grundversorgung, Asylanträge habe es heuer gerade einmal 27 gegeben. Die rund sechs bis sieben Millionen Sudanesen in Ägypten sowie die zahlreichen anderen Flüchtlinge und Migranten aus anderen Ländern profitieren nicht von den Visaerleichterungen.
Kann irreguläre Migration abgeschafft werden?
„Wenn wir irreguläre Migration eindämmen wollen, braucht es viele zielgerichtete Lösungsansätze“, sagt Kohlenberger. Neben Arbeitsvisen müssten Alternativen zur gefährlichen Flucht in Schlauchbooten gesucht werden. Denkbar seien Programme zum Resettlement in Kooperation mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. „Unter der ehemaligen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner wurde das noch gemacht, Österreich hat etwa Jesidinnen geholt“, sagt Kohlenberger. Mit Resettlement können sich Staaten aussuchen, wen sie aufnehmen – und es sind nicht mehr nur die Stärksten, die es bis nach Europa schaffen. Doch anstatt darüber zu sprechen, würden „Konzepte von Rechtsaußen übernommen“, so Kohlenberger.
Dazu zählt etwa das Ruanda-Modell, das laut seinen Anhängern geeignet ist, irreguläre Migration nahezu komplett abzuschaffen.
Kohlenberger führt eine „unbequeme Wahrheit“ ins Treffen: „Man wird irreguläre Migration nie ganz verhindern können.“ Doch bei jener großen Gruppe, die nach Europa strebt, um zu arbeiten, könnten Möglichkeiten der Arbeitsmigration viel bewirken. In ein überfülltes Schlauchboot würden sich diese Menschen wohl nicht mehr setzen.