Heller, Karmasin und das rechtliche Privileg der Prominenten
Es war ein eher bizarres Detail aus dem Prozess gegen Österreichs frühere Familienministerin: Sophie Karmasin hatte an den Umfragen der Meinungsforscherin Sabine Beinschab für das Finanzministerium mitverdient – auch, als sie das nicht durfte, weil sie sich die Arbeitslosenversicherung für Ministerinnen und Minister auszahlen ließ. Bestraft wurde sie dafür vor Gericht nicht. Denn nachdem ZiB-Moderator Martin Thür auf die fälschlicherweise bezogenen Bezüge hingewiesen hatte, zahlte die Ex-Ministerin dem Staat das Geld aus der U-Haft zurück – und zwar bevor die Staatsanwaltschaft auf die Idee kam, dieses Detail genauer zu betrachten. Aus Sicht des Gerichts und Karmasins Verteidiger ein Fall von „tätiger Reue“.
Der österreichische Universalkünstler André Heller geht nun aus ähnlichen Gründen straffrei. Die Wiener Wochenzeitung „Falter“ hatte im Herbst aufgedeckt, dass Heller einem Bild des amerikanischen Künstlers Jean-Michel Basquiat einen Rahmen gebastelt hatte und diesen offenbar als von Basquiat geschaffen angeboten. Laut Heller ein „kindischer Streich“. Tatsächlich wurde der Rahmen 2018 jedoch für 800.000 Euro gekauft.
Eine Betrugsabsicht habe der Künstler nicht gehabt, betonen seine Anwälte: Der Rahmen sei als Rahmen verkauft worden, auf dem sich Basquiat-Zeichnungen befinden. Ein Gericht wird diese Frage nicht mehr klären. Heller habe das Kunstwerk zurückgekauft und somit den Schaden vor der Anzeige gegen ihn wiedergutgemacht, ließ die Staatsanwaltschaft Wien am Montag wissen. Tätige Reue – das Verfahren gegen Heller wurde eingestellt.
Wo kein Schaden, da kein Richter
Schützt investigativer Journalismus damit potenzielle Verbrechen? Sollten Journalist:innen womöglich gar lieber Anzeigen statt Artikel schreiben? Kurz gesagt: Nein. Vor möglicher Strafe wurden Karmasin und Heller nicht durch die Journalist:innen, die ihr Handeln veröffentlichten, bewahrt, sondern durch die rechtliche Möglichkeit, „tätige Reue“ zu zeigen. „Wo kein Schaden, da kein Richter“ könnte man deren zusammenfassen: Wer Wiedergutmachung leistet bevor die Ermittlungsbehörden auf das Delikt aufmerksam wurden, wird belohnt.
Tätige Reue gibt Täter und Opfer die Möglichkeit einer friedlichen Aussöhnung und ist somit ein Türöffner in Richtung restorative justice.
Da Opfer von Vermögensdelikten vor allem daran interessiert seien, ihr Geld zurückzubekommen, sei es „nur zielgerecht, dass der Staat mit seinem Verfolgungsanspruch in den Hintergrund tritt und es den ‚stakeholdern‘ ermöglicht, ‚unter sich‘ reinen Tisch zu machen“, argumentieren die Strafrechtsexperten Richard Soyer und Sergio Pollak in einer Analyse aus 2016. Auch im Sinne einer effizienten Strafverfolgung hilft die tätige Reue.
Privileg für Prominente
Die Möglichkeit, den Schaden wieder gut zu machen, ist aber nicht bei allen Verbrechern gleich. Wer sein Vermögen durch Betrug auffettet, kann auch leicht zurückzahlen – vor allem, wenn man durch journalistische Anfragen vorinformiert wird. Einfachen Dieb:innen, die ihre Beute zum Bezahlen von Essen und Unterkunft verbrauchen, wird die Wiedergutmachung schwerer fallen. Auf journalistische Anfragen können sie sich ohnehin nicht hoffen. Ein Privileg für Prominente nennt das ZiB-Moderator Martin Thür – und ein Beispiel für Zwei-Klassen-Justiz.
Tatsächlich ist die Lücke der Regelung ebenso offensichtlich wie die positive Wirkung: Wer einen Schaden wiedergutmacht, soll nicht selbst geschädigt werden. Die Frage ist, ob der Zeitpunkt stimmt. Solange die Ermittlungsbehörden im Dunklen tappen, gilt die tätige Reue. Erfahren sie vom Verbrechen, ist es zu spät. Mit Blick auf die Fälle von Karmasin und Heller könnte man hier nachschärfen und etwa auch die Täter:innen-Perspektive mit einbeziehen, damit vermögende und vorinformierte Verbrecher:innen nicht straffrei gehen. Dass prominente und medienwirksame Causen zur Diskussion anregen, kann nur gut sein.
Einen Tag ohne reuepflichtige Zwischenfälle wünscht
Max Miller