Klimakrise: Warum es nicht hilft, Einzelne an den Pranger zu stellen
Hitzewelle und heftige Unwetter in Österreich, verheerende Waldbrände in Kanada, Temperaturrekorde in Südeuropa: Die vergangene Woche war die heißeste seit Beginn der Aufzeichnungen. Und es wird nicht besser. Es wird heißer, trockener, gefährlicher.
Großstädte wie Wien sollten sich dringend überlegen, wie mehr kühle Inseln geschaffen werden können. Besonders vulnerable und alte Personen leiden sehr – und die Zahl der Hitzetoten steigt.
Stattdessen wird über die Klimakleber debattiert. Aktivisten der „Letzten Generation“ haben sich auf Rollfeldern in Hamburg und Düsseldorf festgeklebt. Am Flughafen Schwechat herrscht Alarmbereitschaft.
Ich kann die Verzweiflung der jungen Leute verstehen. Der Planet brennt, vielerorts buchstäblich, die Erderhitzung ist längst zur lebensbedrohlichen Gefahr geworden. Gleichzeitig werden Klimaziele nicht eingehalten, vieles läuft einfach weiter wie bisher. Es ist dennoch wenig sinnvoll, den Kampf gegen den Klimawandel zu individualisieren, also die Verantwortung dafür auf die Konsumentinnen und Konsumenten abzuwälzen. Die Zukunft unseres Planeten wird nicht am Esstisch und bei der Urlaubsplanung der Mittelschicht in westlichen Ländern entschieden, sondern in den Parlamenten, Ministerien und bei internationalen Konferenzen.
Dann nehmt doch den Zug nach Holland!
Doch eine Debatte darüber ist kompliziert, die Sachverhalte sind komplex. Da tut man sich mit „Flugscham“ („flight shame“) schon viel einfacher. Nach den jüngsten Festklebe-Aktionen auf deutschen Flughäfen war wieder viel davon die Rede, dass Fliegen an sich etwas Böses ist, das jedenfalls vermieden werden soll. Ein für diese Debatte exemplarischer Beitrag stammt von Twitter-Userin Frauke. Sie rief dazu auf, alle Kurzstreckenflüge zu verbieten. Das wäre bestimmt sinnvoll. Ich kann mir keine Situation vorstellen, in der man etwa von Wien nach Innsbruck fliegen müsste.
Doch das meinte die junge Frau nicht, als sie davon sprach, dass man bei einer Reise von Hamburg nach Süditalien – eher keine „Kurzstrecke“ – lieber den Zug nehmen sollte. Was aber, so der Einwand eines Users, wenn man sich den Zug nicht leisten kann und der Flug viel billiger ist? Auch hier weiß Frauke, was zu tun ist: „Wenn ich mir keinen Urlaub in Italien leisten kann, bei dessen Anreise ich nicht den Planeten abfackel, dann kann ich mir vielleicht einfach keinen Urlaub in Italien leisten.“ Man könne ja auch woanders hin. Nach Holland etwa.
Den Öl- und Gas-Multis gefällt das
Twitter-Userin Frauke sieht die Verantwortung in erster Linie beim Einzelnen, der nicht mit dem Zug fahren will oder kann – und nicht etwa beim Staat, der es verabsäumt hat, ins Schienennetz zu investieren, damit Zugreisen vergleichsweise günstig und komfortabel sind.
Womit wir das Problem mit der Individualisierung der Klimakrise eingekreist hätten: Sie lenkt von den großen strukturellen Veränderungen ab, die wir so dringend brauchen. Den Öl-, Gas- und Kohlekonzernen gefällt das. In den vergangenen Jahren haben Unternehmen viel Geld in Kampagnen gesteckt, die das Konsumverhalten Einzelner für Umweltfragen verantwortlich machen. So wurde etwa der individuelle CO2-Fußabdruck, der sich per Knopfdruck berechnen lässt, vom Ölkonzern BP entwickelt und propagiert. Klimaschutz wird damit zum Problem jedes Einzelnen – und die Konzerne können sich abputzen.
Selbstverständlich wäre es gut, wenn jeder Mensch sich so verhalten würde, dass der Planet möglichst wenig Schaden davonträgt. Nur: Solange es in der Debatte über den Klimawandel vorrangig um individuelles Verhalten geht und nicht etwa darum, wie die Politik regulieren und eingreifen muss, werden wir nicht weit kommen.
Eines erreicht man über eine Individualisierung der Debatte ganz bestimmt: Der Kampf gegen den Klimawandel wird damit zum Klassenkampf.
Ihre
Siobhán Geets