Karin Kneissl und Wladimir Putin tanzen, während die Hochzeitsgäste zusehen.
Morgenpost

Kneissls Europa-Abgesang: Dem Kreml gefällt das

Früher auf FPÖ-Ticket in der Regierung, nun auf Putin-Ticket in St. Petersburg: Ex-Ministerin Karin Kneissl veröffentlicht ein neues Buch und mimt die Vertriebene. Ganz von Österreich gelöst dürfte sie sich aber nicht haben.

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Erstmals in der Geschichte haben die Blauen bei einem bundesweiten Urnengang Platz eins errungen – bei der EU-Wahl am vergangenen Sonntag. Mit Blick auf die Nationalratswahl im Herbst scheint somit eine Regierungsbeteiligung in greifbarer Nähe. Falls es so weit kommt, muss dann natürlich wieder möglichst ministrables Spitzenpersonal gesucht werden. Und da stellt sich doch die Frage, was eigentlich aus der einen oder anderen Neuentdeckung aus dem vorigen blauen Intermezzo an der Macht wurde. Eine ehemalige Ministerin aus der Zeit der türkis-blauen Bundesregierung (2017 bis 2019) sticht da jedenfalls besonders hervor: Karin Kneissl.

Als Nahost-Expertin in Fernsehdiskussionen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden, holte sie der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache als parteifreie Außenministerin auf blauem Ticket in sein Team. Für internationale Furore gepaart mit heftigem Kopfschütteln sorgte die damalige Ministerin, als sie zu ihrer Hochzeit im August 2018 den russischen Präsidenten Wladimir Putin einlud – und nicht nur mit ihm tanzte, sondern auch formvollendet vor ihm knickste. Das Iibza-induzierte vorzeitige Aus von Türkis-Blau Mitte 2019 machte dann auch bei Kneissl eine berufliche Neuorientierung notwendig. Und diese führte sie letztlich ins Land ihres früheren Tanzpartners.

Ex-Ministerin veröffentlicht neues Buch

Kneissl residiert seit einem Dreivierteljahr in Putins Heimatstadt St. Petersburg und leitet an der dortigen Universität einen Thinktank mit dem klingenden Akronym G.O.R.K.I. – „Geopolitical Observatory for Russia’s Key Issues“. Mit dem berühmten russischen Schriftsteller Maxim Gorki hat das also eher wenig zu tun. Vielmehr macht sich Kneissl Gedanken über geopolitische Schlüsselthemen aus russischer Sicht. Kein unheikles Terrain, schließlich versucht der Kreml seine geopolitischen Ambitionen aktuell mit einem offenen Krieg in der Ukraine voranzutreiben.

Was das Putin-Regime in dieser Situation ideologisch braucht, ist eine Propaganda-Erzählung von ungehemmten imperialen Bestrebungen der USA (Reizwort: NATO) auf der einen – und einem, dem Niedergang geweihten Europa auf der anderen Seite. Und siehe da: Was zweiteren Punkt betrifft, scheint sich Kneissls Arbeit da nahtlos einzufügen.

Die ehemalige Außenministerin hat vor wenigen Tagen in St. Petersburg ein neues Buch präsentiert. Der Titel lässt wenig zu deuteln übrig: „Requiem für Europa“. Auch die Aufmachung wirkt nur begrenzt subtil. Wie Kneissl via Kurznachrichtendienst „Telegram“ extra hervorhob, ziert das Buch ein Gemälde von Pieter Bruegel dem Älteren, auf dem ein Blinder andere Blinde führt. Eines lässt sich schon jetzt feststellen: Dem Kreml gefällt das. 

Applaus vom Geheimdienstchef

Vergangene Woche referierte Kneissl zum Thema ihres Buches bei der Generalversammlung der Russischen Historischen Gesellschaft. In ihrem französischen Redetext, den die Ex-Ministerin via „Telegram“ veröffentlicht hat, bezeichnete sie Europa als „Europa des Krieges“. In gewisser Weise sei man zum Ausgangspunkt der europäischen Geschichte zurückgekehrt, der auch eine Rückkehr zum „totalitären Krieg“ („un retour de la guerre totalitaire“) sei. Das Europa, für das sie ihr Leben lang dankbar gewesen sei, habe aufgehört zu existieren. Es habe seine Seele verloren.

Im Land des russischen Kriegstreibers ausgerechnet Europa den „totalitären Krieg“ vorzuwerfen, wirkt einigermaßen fragwürdig, bescherte Kneissl in ihrer neuen Wahlheimat aber umgehend Applaus. Die Nachrichtenagentur TASS berichtete, der Vorsitzende der Russischen Historischen Gesellschaft, Sergei Naryschkin, habe der früheren Außenministerin gedankt: für die Verteidigung der historischen Wahrheit und der menschlichen Werte. Nun stellt man sich unter dem Vorsitzenden einer Historischen Gesellschaft im ersten Moment vielleicht einen verstaubten, alten Professor vor, der außerhalb des Elfenbeinturms nicht viel zu reden hat. In Bezug auf Naryschkin ist das jedoch weit gefehlt. Er hat auch noch einen anderen Job: als Direktor des russischen Auslandsgeheimdienstes SWR. Seit Längerem besteht der Vorwurf, die russische Führung unter Putin wolle die Geschichtsschreibung des Landes zu ihren Gunsten beeinflussen. Naryschkin soll in den vergangenen Jahren diesbezüglich gleich an mehreren Schlüsselpositionen gesessen sein. 

Kneissl-Liegenschaft in NÖ wurde gepfändet

Kneissl arbeitet sich in Russland übrigens nicht nur an der europäischen Geschichte ab, sondern auch an ihrer eigenen. Bei der Historischen Gesellschaft behauptete sie, sie habe Österreich im September 2020 gegen ihren Willen verlassen – „mit zwei Hunden und zwei Koffern“. Auch der Lebenslauf auf der Internetseite der Ex-Ministerin vermittelt den Eindruck einer regelrechten Flucht- und Vertreibungsgeschichte: „Im September 2020 verließ Karin Kneissl aufgrund anhaltender Morddrohungen und eines faktischen Arbeitsverbots in Österreich unfreiwillig ihr Heimatland. Nach langer Suche fand sie einen kleinen Bauernhof in Frankreich, um einen Neuanfang zu wagen. Doch dann musste sie auch Frankreich verlassen, weil die französische Regierung ihr Steine in den Weg legte. Im Juni 2022 zog sie in den Libanon, wo sie nach einem Marathon durch die Behörden eine Aufenthaltsgenehmigung und eine Steuernummer erhielt (…).“

profil-Recherchen deuten allerdings darauf hin, dass Kneissl nicht alle Verbindungen nach Österreich gekappt haben dürfte. So ist die Ex-Ministerin nach wie vor als Eigentümerin jenes Hauses in Niederösterreich ins Grundbuch eingetragen, in dem sie früher gelebt hat. Sofern der Grundbuchstand die aktuelle Situation widerspiegelt, hätte Kneissl also durchaus eine Rückfalloption, falls es in Russland doch nicht so glorreich für sie weitergehen sollte, wie es aktuell den Anschein hat. Dann müsste aber wahrscheinlich noch eine Altlast bereinigt werden: Die Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen setzte im März 2023 eine gerichtliche Exekution durch und ließ sich ein Pfandrecht ins Grundbuch eintragen. Demnach hatte Kneissl bei der Sozialversicherung einen Rückstand von rund 3500 Euro. Der Grundbucheintrag war bis zuletzt aufrecht. (Theoretisch könnte eine Rückzahlung erfolgt, der Eintrag aber noch nicht gelöscht worden sein.)

Vor der Russischen Historischen Gesellschaft lamentierte die Ex-Ministerin, dass Europa für die Menschen früher ein Kontinent der Freiheit, der Bildung und der Künste gewesen sei – heute gehe es für die Mehrheit der Einwanderer hingegen um den Sozialstaat. Ein Blick ins Grundbuch würde Kneissl zeigen, dass dieser Sozialstaat auch seine unangenehmen Seiten haben kann. 

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.