Konjunktur-Spritze: Danke, Deutschland!
Deutschland ist eine riesengroße Baustelle. Und zwar wortwörtlich. Um drei Uhr nachts am 11. September des Vorjahres stürzte ein gut hundert Meter langes Teilstück der Carolabrücke in Dresden in die Elbe. Dass dabei niemand ums Leben kam oder verletzt wurde, war pures Glück. Hätte sich der Einsturz nicht um drei Uhr nachts, sondern um drei Uhr nachmittags ereignet, wäre er in einer Katastrophe geendet. Die Brücke war zu alt und zu lange nicht mehr saniert worden. Sie wurde zum Sinnbild dafür, wie kaputt Deutschlands Infrastruktur eigentlich ist.
Ganz viele deutsche Brücken, Straßen, Bahntrassen und Stromleitungen stammen noch aus der Zeit des deutschen Wirtschaftswunders der 60er- und 70er-Jahre und das sieht man ihnen auch an. Gut 5.000 deutsche Brücken sind sanierungsbedürftig oder müssten abgerissen und neu gebaut werden. Jetzt soll das ganze Land renoviert werden. Und zwar um 500 Milliarden Euro. So viel soll in den kommenden zehn Jahren in die Modernisierung der deutschen Infrastruktur fließen. Darauf haben sich CDU/CSU und die SPD vor gut einer Woche in ihren Sondierungsgesprächen geeinigt.
Der ehemalige deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat vor fast drei Jahren den Begriff „Doppel-Wumms“ geprägt. So nannte er damals das 200 Milliarden Euro schwere Energie-Hilfspaket, das am Peak der Gaspreiskrise Haushalte und Industrie entlasten sollte. Jetzt kommt der nächste Wumms, der allerdings noch die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit im deutschen Bundestag braucht. Denn das Geld soll über das sogenannte Sondervermögen des Bundes kommen. Das ist eine Art „Schattenhaushalt“, also nicht teil des Bundesbudgets, für den es einen eigenen Gesetzesbeschluss braucht. Damit macht Deutschland quasi Schulden an der Schuldenpreisbremse vorbei. Und zwar nicht wenige.
Zu lange gewartet?
Aber warum jetzt? Das goldene Zeitalter der deutschen Handels- und Budgetüberschüsse ist vorbei. Hier wie dort ist der Sparzwang groß und von Wirtschaftswachstum ist keine Spur. „Ich würde sogar sagen, dass man zu lange gewartet hat“, sagt Klaus Weyerstrass, Ökonom und Experte für internationale Konjunktur und Außenwirtschaft. Der schlechte Zustand der Infrastruktur sei mittlerweile ein Stolperstein für das deutsche Wirtschaftswachstum.
Brücken müssen gesperrt werden und bringen teure Umfahrungen mit sich. Seit einem Jahrzehnt werden in Norddeutschland Unmengen an grünem Strom produziert, der aber wegen der fehlenden Stromleitungen nicht in den industriestarken Süden des Landes transportiert werden kann. Anlässe, das Haus wieder einmal in Schuss zu bringen, gibt es genug.
Für die heimische Wirtschaft, der das dritte Jahr in der Rezession droht, sind die Milliarden schweren Renovierungspläne Deutschlands gute Nachrichten. Denn seit jeher gilt: Geht es der deutschen Wirtschaft gut, geht es auch Österreichs Betrieben gut. Das Nachbarland ist mit großem Abstand unser wichtigster Handelspartner und Europas größte Volkswirtschaft. Wie schmerzhaft Einbrüche in Deutschland hierzulande werden können, spürt gerade die heimische Zulieferindustrie. Die deutsche Autoindustrie steckt in ihrer wohl tiefsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg, Aufträge brechen ein und heimische Betriebe müssen Mitarbeiter vor die Tür setzen.
Wenn also unser westlicher Nachbar im kommenden Jahrzehnt eine 500 Milliarden Euro schwere Konjunkturspritze bekommt, sind das auch für Österreich grundsätzlich gute Nachrichten.
Aber: „Unmittelbare Effekte für kleinere Zuliefer- und Handwerksbetriebe wird es eher nicht geben. Große Betriebe können aber durchaus davon profitieren“, meint Weyerstrass. Der Großteil des Geldes wird wohl an deutsche Handwerker und Baufirmen vor Ort fließen. Es ist durchaus zu erwarten, dass für Betriebe wie die Bauriesen Porr und Strabag oder den Ziegelproduzenten Wienerberger demnächst der eine oder andere Großauftrag aus Deutschland herüberschwappt.
Für Deutschland selbst sind die Pläne eine ziemlich teure Wette auf den Aufschwung. Ebenso wie die geplanten, höheren Rüstungsausgaben wird die deutsche Infrastruktur-Erneuerung auf Pump finanziert. Die Finanzmärkte reiben sich schon die Hände. Denn just am Tag der Verkündung dieses „Mega-Doppel-Wumms“ ist die Rendite auf zehnjährige deutsche Staatsanleihen gleich um 15 Basispunkte gestiegen. So viel, wie noch nie zuvor - an nur einem einzigen Tag. Offen ist auch, wer – also welche Arbeitskräfte – 5000 Brücken, tausende Kilometer Straßen und Stromleitungen sanieren soll. Die Demographie könnte nämlich zum Stolperstein für den Aufschwung werden.
Auch wenn Österreich zumindest indirekt von einem kleinen deutschen Wirtschaftswunder profitieren könnte, zum Nachmachen ist das Vorhaben ungeeignet. Denn erstens ist die heimische Infrastruktur deutlich besser in Schuss. Und zweitens: Mit einer Staatsschuldenquote von 63,6 Prozent und einem Defizit von 2,6 Prozent der Wirtschaftsleistung hat Deutschland bei weiten keinen so großen Sparbedarf wie Österreich, das allein heuer über sechs Milliarden Euro im Budget einsparen muss. Und so kann man nur hoffen, dass von Deutschlands Baustellen der eine oder andere Auftrag für heimische Betriebe abfällt.