Morgenpost

Konjunktur: Vom EU-Hero zum Zero

Österreichs Wirtschaft ist so stark geschrumpft, wie in keinem anderen EU-Land. Wir steuern geradewegs auf ein EU-Defizitverfahren zu. Und schon am Montag kommt es wahrscheinlich noch dicker.

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Es ist noch gar nicht so viele Jahre her, als österreichische Finanzminister und auch manche Ökonomen mit erhobenem Zeigefinger mehr Sparsamkeit, Budgetdisziplin und Reformen von den damals wirtschaftlich strauchelnden EU-Südländern einforderten. Während man sich selbst ob der guten Wirtschaftslage kräftig auf die Brust klopfte und die eigene Strebsamkeit betonte. Jetzt ist Österreich schmähstad, wie man auf Wienerisch sagen würde.

Das Land ist laut den aktuellen Prognosen der beiden großen Wirtschaftsforschungsinstitute Wifo und Institut für höhere Studien (IHS) nicht nur das dritte Jahr in Folge in einer Rezession: Die Wirtschaftsleistung bricht heuer nochmal um 0,3 Prozent (Wifo) beziehungsweise um 0,2 Prozent (IHS) ein. Wir führen auch in einer sehr unrühmlichen Statistik der EU-Staaten. 2024 waren wir jenes Land, dessen Bruttoinlandsprodukt (-1,2 Prozent) mit Abstand am stärksten eingebrochen ist. Während die früheren Sorgenkinder der Staatsschuldenkrise der 2010er-Jahre so stark gewachsen sind, wie wir es uns derzeit nur wünschen können: Spanien, Griechenland, Portugal – sie alle hatten Zuwächse von um die zwei Prozent der Wirtschaftsleistung.

In Österreich zeigen aber schon das dritte Jahr in Folge so gut wie alle relevanten Wirtschaftsparameter in die falsche Richtung. Die Wirtschaftsleistung sinkt. Die Arbeitslosigkeit steigt nochmal leicht auf 7,3 (Wifo) beziehungsweise 7,5 Prozent (IHS). In der Industrie geht es vermutlich auch heuer wieder etwas bergab. Die Konsumlaune der Haushalte ist im Keller. Die Inflation ist noch immer deutlich höher als im Euro-Raum (heuer laut Prognose mit 2,9 Prozent).

Und zu allem Überfluss droht uns ein doppelt so hohes Budgetloch, wie ursprünglich angenommen. So warnte die Nationalbank, dass wir allein dieses Jahr nicht 6,4 Milliarden einsparen müssen, sondern vielleicht doch eher zehn oder elf Milliarden, um wieder auf einen gesunden Budgetpfad zurückzufinden. „2025 ist das dritte Rezessionsjahr in Folge“, sagte Wifo-Chef Gabriel Felbermayr am Donnerstag vor Journalisten. Angesichts der zahlreichen Verwerfungen und geopolitischen Unsicherheiten ist nicht ausgeschlossen, dass auch ein viertes Rezessionsjahr folgt. Noch gehen die Wirtschaftsforscher zumindest im kommenden Jahr von einem geringen Wachstum von 1,2 (Wifo) oder 1,1 Prozent (IHS) aus. Aber wer kann das schon mit Sicherheit sagen? Die Ökonomen mussten in den vergangenen zwölf Monaten ihre Prognosen laufend nach unten korrigieren. Und vielleicht müssen sie das schon bald wieder tun. 

„Rendezvous mit der Realität“

Es werde jedenfalls ein hartes „Rendezvous mit der Realität“. „Je länger wir im potemkinschen Dorf verharren, desto schwieriger kommen wir wieder raus“, meint Felbermayr. Wie konnte es aber so weit kommen? Wann haben wir uns in dieses potemkinsche Dorf hineinmanövriert? Und wie sollen wir da wieder herauskommen?

Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) und Staatssekretärin Barbara Eibinger-Miedl (ÖVP) haben nur drei Stunden, nachdem die Wirtschaftsforscher ihre düsteren Prognosen vorgestellt haben, heimische Journalistinnen und Journalisten ins Finanzministerium geladen. „Die Lage ist sehr ernst“, sagt Marterbauer. Er ist seit gut drei Wochen Finanzminister und hat jetzt die undankbare Aufgabe, 6,4 Milliarden Euro einzusparen – allein heuer – und empfindliche Einschnitte in allen Bevölkerungsschichten und Gebietskörperschaften zu verteidigen. Und das als Sozialdemokrat. 

Deshalb sind die Journalisten aber nicht hier. Die Budgetmisere ist hinlänglich bekannt, der Ernst der Lage ebenso. Nach den „Horror“-Prognosen der Wirtschaftsforscher will die neue Regierung zeigen, dass man die Krise in den Griff bekommt und den Ernst der Lage sehr wohl erkennt. Von den 6,4 Milliarden Euro, die Österreich heuer einsparen muss, passierten schon 1,25 Milliarden Euro das Parlament. Für 2026 sind nochmal Einsparungen von 1,6 Milliarden beschlossen. Mit den einzelnen Ministerien habe man sich auch schon über Einsparungen geeinigt. Diese müssen ja in ihren Ressorts insgesamt 1,1 Milliarden Euro sparen. 

„Kein Drama“

Und auf noch etwas möchten der Finanzminister und die Staatssekretärin die Bürgerinnen und Bürger schön langsam einstimmen: „Ein EU-Defizitverfahren ist kein Drama.“ Vor allem deshalb nicht, weil es unausweichlich scheint. Darüber, ob sich Österreich aus eigener Kraft sanieren kann, oder in enger Abstimmung mit Brüssel den Sanierungsstand vierteljährlich melden muss, entscheidet freilich nicht der Finanzminister, sondern die EU-Kommission. Auch IHS-Chef Holger Bonin nannte das EU-Defizitverfahren „keinen Beinbruch“. Seit Wochen aber poltern rechte Gruppen und die oppositionelle FPÖ gegen die Konsolidierung unter EU-Kuratel und warnen mit teilweise falschen Behauptungen vor der Entmündigung Österreichs.

Wie genau die Länder aber ein solches Verfahren durchlaufen – also unter Protest und widerwillig oder kooperativ und konstruktiv – entscheidet letzten Endes auch darüber, wie teuer uns die Sanierung zu stehen kommt. Österreich muss sich nämlich laufend auf den internationalen Finanzmärkten Geld ausborgen, um alte Schulden zu tilgen und den Tagesbetrieb aufrecht zu erhalten. Und wenn die Geldgeber das Gefühl haben, wir können oder wollen uns nicht aus eigener Kraft wieder gesundsparen, steigen die Zinsen und es wird mitunter noch teurer für die Republik. Beschwichtigen ist also keine falsche Strategie. Lange Zeit aber war es die Einzige, die die Politik dem wirtschaftlichen Abschwung entgegensetzte.

Schon am Montag wird die Statistik Austria den Schuldenstand der Länder, Gemeinden und der Sozialversicherungsträger für das Jahr 2024 veröffentlichen. Und hinter vorgehaltener Hand rechnen die Ökonomen mit einem Blutbad. Die Ausgaben für Kinderbetreuung, Pflege und für Klimaschutz steigen. Gleichzeitig sind die Ertragsanteile gesunken. Und wegen der zahlreichen Firmenpleiten und der anhaltenden Krise in der Industrie fälltn eine Gemeinde nach der anderen um ihre Kommunalsteuern um, während die Sozialausgaben weiter gestiegen sind. Nur zur Einordnung: In Mattighofen betrug der Gemeindehaushalt 24 Millionen. Allein vom Motorradhersteller KTM kamen 3,5 Millionen Euro – vor der Pleite wohlgemerkt. Jetzt ist das Geld für den Ausbau des Kindergartens und die Freibadsanierung vorläufig futsch.

Zwei Zahlen stehen in den Prognosen der Wirtschaftsforscher paradox einander gegenüber und sind fast schon exemplarisch für die Krisen der vergangenen Jahre: Die real verfügbaren Einkommen sind trotz Krise um zwei Prozent gestiegen. Die Menschen haben also im Durchschnitt tatsächlich etwas mehr Geld zur Verfügung. Aber der private Konsum stagniert. Was wiederum die heimische Wirtschaft belastet, weil die Menschen ihr Geld sparen, statt es auszugeben. Dabei sollte der private Konsum doch die strauchelnde Wirtschaft retten. Genau deshalb einigten sich die Sozialpartner zuletzt auf Lohnabschlüsse rund um die Inflation. Genau deshalb zahlte die Vorgängerregierung Milliarden schwere Anti-Teuerungshilfen und Klimaboni an alle aus. Das Geld blieb trotzdem am Konto. 

Aber wen wundert‘s? Wer ist schon groß in Shoppinglaune, wenn die Welt um einen herum zusammenbricht, der Staat jahrelang deutlich mehr ausgibt, als er einnimmt und heute niemand sagen kann, wie die Welt in drei Monaten aussehen wird? Irgendwann geht sich das alles einfach nicht mehr aus.

Wir haben Geburtstag!

Trotzdem sollte man Feste feiern, wie sie fallen. Wir haben dieses Jahr Geburtstag. Es ist der 55. – Geschenke dürfen wir leider keine annehmen, das verbietet unser Ehrenkodex (und die Compliance-Abteilung), aber wir wollen mit Ihnen gemeinsam feiern. Um uns zu erinnern und nach vorne zu blicken. Unter dem Titel „55 Jahre unbequeme Wahrheiten“ bringen wir eine Veranstaltungsreihe im Theater Akzent auf die Bühne. Dort besprechen wir die größten Aufdeckungen unserer Geschichte – von Benko über die Affären Groer und Waldheim bis zu Ibiza, und freilich auch den aktuellen Spionageskandal. Wir wollen aber nicht nur zeigen, warum wir cool sind und Sie sich am besten ein Abo nehmen sollten, (obwohl Sie natürlich schon eines haben, wenn nicht, hier lang, dann gibt’s auch billigere Karten), sondern auch, warum es investigativen Journalismus braucht. Denn diese Fälle zeigen sehr konkret, wie sich das Land deswegen nachhaltig und positiv verändert hat – trotz der wirtschaftlichen Flaute. 

Bitte kommen Sie, kommen Sie. Wir freuen uns schon auf ein paar interessante wie hoffentlich auch kurzweilige und im Anschluss lustige Abende. 

Marina Delcheva

Marina Delcheva

leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".