Was die Krise bei VW für heimische Unternehmen bedeutet
Egal, wo Sie heute Morgen unterwegs sind, eines ist überall gleich: Ungefähr jedes fünfte Auto, das Ihnen entgegenkommt oder an Ihnen vorbeifährt, ist ein Volkswagen (VW). Rechnet man noch ebenfalls zum Konzern gehörende Marken wie Audi, Skoda und Seat dazu, ist es fast jedes Dritte. Das Straßenbild hierzulande passt aber schon eine Zeit lang nicht mehr zur Situation, in der sich Volkswagen befindet. Der Konzern ist in einer Krise. Laut Betriebsrat droht drei deutschen Werken die Schließung, zehntausende Jobs seien in Gefahr. Wie konnte es so weit kommen, und was bedeutet das für österreichische Zulieferbetriebe?
„Die deutsche Autoindustrie strauchelt seit zirka sechs Jahren“, sagt Klaus Friesenbichler, Ökonom am österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Die Gründe dafür sind teils hausgemacht, teils der aktuellen wirtschaftlichen Situation geschuldet: „Ein Auto ist ein dauerhaftes Konsumgut. Wenn also die Unsicherheit am Arbeitsmarkt groß ist, wenn Lohnzurückhaltung gefordert wird, auch vor dem Hintergrund der Teuerung der letzten Jahre, kann es schon sein, dass bei vielen Haushalten die Budgets knapper sind“, sagt der Wirtschaftsforscher. Potenzielle Kundinnen und Kunden von VW sparen sich den Autokauf oder warten auf einen besseren Zeitpunkt. An der Situation bei VW ist aber nicht nur die Coronapandemie, die Teuerung oder die Unsicherheit am Arbeitsmarkt Schuld.
Selbst verantwortlich ist man beim Weltkonzern aus Wolfsburg etwa für den Dieselskandal im Jahr 2015. Damals wurde bekannt, dass VW illegale Abschalteinrichtungen in Millionen von Dieselfahrzeugen eingebaut hatte, um so bei Abgastests nicht über die zugelassenen Emissionswerte zu kommen. In der Folge gab es Geld- und Haftstrafen. Außerdem orten Expertinnen und Experten, dass Volkswagen in Bezug auf Elektromobilität zu lange gezögert habe und es bis heute nicht schaffe, kostengünstige Elektroautos zu produzieren und zu verkaufen. Gleichzeitig hielt man in Deutschland lange an Premium-Modellen fest, die bei vorhandener Nachfrage hohe Margen garantierten. Und schließlich bezahle der Konzern seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern deutlich höhere Löhne als sonst in der Branche üblich.
Warum aber wird nun überlegt, ganze Werke zuschließen?
Grundsätzlich müsse die Auslastung in einem Werk über 80 Prozent liegen, sagt Stefan Bratzel, Gründer und Direktor des Center of Automotive Management (CAM), gegenüber der „Deutschen Welle“. Zum einen liegt das an der eingebrochenen Nachfrage von wichtigen Exportländern wie China, zum anderen würden sich bestimmte Modelle auch nicht so gut verkaufen wie erhofft. Dass die Auslastung in den Produktionshallen momentan zu gering sei, betonte auch VW-Finanzchef Arno Antlitz am Mittwoch in einer Analystenkonferenz.
Was heißt das für heimische Zulieferer?
„Das hängt davon ab, welche Teile dann wirklich betroffen sind und welche Werke geschlossen werden“, sagt der Wifo-Experte Friesenbichler. Wichtige VW-Kunden hierzulande sind zum Beispiel der Stahlkonzern Voestalpine, der Wieselburger Lichtsystemhersteller ZKW, der Technologiekonzern AVL List und der Österreich-Ableger des deutschen Schäffler Konzerns. Welcher Zulieferer wie stark von der Situation bei VW künftig betroffen sein werden, lässt sich heute noch nicht sagen. Denn noch ist unklar, ob und welche Werke schließen und wie es in den verbleibenden weitergeht.
Die heimischen Betriebe beobachten die Situation bei VW aber ganz genau, manche haben schon darauf reagiert. Wie etwa die Voestalpine, die erst vor Kurzem die Schließung eines ihrer Werke der Automotive-Sparte im deutschen Birkenfeld bekanntgegeben hat. Mit dem jüngsten Verkauf des deutschen Tochterunternehmen Buderus Edelstahl möchte sich die Voest künftig stärker auf Hochleistungswerkstoffe konzentrieren, „zu konkreten Kunden bzw. noch nicht näher genannten Maßnahmen von Kunden geben wir keine Stellungnahme ab“, heißt es aus Linz.
Auch bei AVL List in Graz beobachtet man die Situation bei Volkswagen ganz genau: „VW ist ein bedeutender Kunde für AVL, und wir pflegen eine kontinuierliche und enge Abstimmung. Aktuell bestehen keine einschneidenden Veränderungen.“ Auch alle anderen von profil befragten Firmen beobachten die Situation, kommentieren wollte die im Raum stehenden Werksschließungen zum jetzigen Zeitpunkt aber niemand.
Die Talsohle sieht der Wirtschaftsforscher in der europäischen Fahrzeugindustrie noch nicht erreicht, zumal diese einen Strukturwandel weg vom Verbrennerfahrzeug hin zu Elektroautos durchmacht. Wie sich das wiederum auf die heimischen Zulieferer auswirken wird, hängt von der jeweiligen Spezialisierung einer Firma ab - und wie diese mit den Veränderungen umgehen. Auch, was die Diversifizierung der Kunden angeht. So versucht die Voestalpine etwa, künftig Aufträge bei chinesischen E-Auto-Herstellern zu bekommen, die Werke in Europa hochziehen. Wie es die chinesische Automarke BYD in Ungarn derzeit macht.
Wie sich all das auf das Straßenbild auswirken wird, bleibt abzuwarten – langfristig könnten weniger Volkswagen zu sehen sein. Fahrzeugkarosserien, Beleuchtungssysteme, Radlager und weitere Komponenten für VW, aber auch für andere Autobauer, werden wohl weiterhin unter der Mithilfe österreichischer Konzerne produziert.