Mit Gegenwehr ist zu rechnen
Angesichts der immensen historischen Bedeutung des heutigen Datums ist ein Innehalten tatsächlich anzuraten. Denn vor genau 80 Jahren befreiten sowjetische Truppen – die 322. Infanteriedivision der 60. Armee der 1. Ukrainischen Front – das Konzentrationslager Auschwitz von der Schreckensherrschaft der untergehenden Nationalsozialisten. Die SS hatte ihre Vorkehrungen getroffen, die Spuren ihrer Taten zu verwischen versucht; man hatte die Gaskammern demontiert, die Akten verbrannt und die Krematorien gesprengt. Zuletzt hatte sie noch Zehntausende Häftlinge in Todesmärsche gezwungen. Die Rote Armee fand, nachdem sie am Vormittag des 27. Januar 1945 das Stammlager in Auschwitz erreicht hatte und im Lauf des Tages auch nach Birkenau und in die Auschwitz-Nebenlager vorgedrungen war, nur noch rund 8000 kranke, ausgezehrte Häftlinge vor – an jenem Ort, an dem die Nazis in nicht einmal fünf Jahren etwa 1,1 Millionen Menschen ermordet hatten.
Wie sehr es auch acht Jahrzehnte später nötig ist, in der österreichischen Innenpolitik das rückhaltlose Bekenntnis zu antifaschistischen Grundhaltungen einzufordern, belegte erst vor wenigen Tagen wieder ein Bericht des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes. Die traditionellen Verbindungen der Freiheitlichen Partei zur rechtsextremen Szene sind (nicht nur dort) breitest dokumentiert; es kann keinerlei Zweifel daran herrschen, welch übelriechender Wind noch immer durch die Reihen der FPÖ weht, wie stark in deren Hinterzimmern und an deren Stammtischen immer noch mit völkischen, identitären, antisemitischen und fallweise auch lupenrein nationalsozialistischen Ideen geliebäugelt wird.
Insofern werden die laufenden Koalitionsverhandlungen mit Argusaugen verfolgt, gerade auch von einer sich gegen das Drohszenario herber Einschnitte in die Subventionspolitik rüstenden Kunstszene. Am Donnerstag vergangener Woche tagte einer der 13 Fachbereiche, die Untergruppe „Medien, Kunst und Kultur“. Was genau hinter verschlossenen Türen, zwei knappe Stunden lang, in Kulturfragen besprochen wurde, ist bislang nicht überliefert; vermutlich haben die Planungsgespräche zum Rückbau des ORF zu viel Zeit gekostet. FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker tritt dort, neben der scheidenden VP-Medienministerin Susanne Raab, als Chefverhandler auf. Größere Kunstaffinität sucht man in Hafeneckers Biografie allerdings vergebens: Militärrealgymnasium, Landmaschinentechniker, Covid-Testzertifikatsfälscher, Verkehrssprecher.
Ungehört verhallt ist der – von der IG Autorinnen Autoren initiierte – Aufruf von 150 heimischen Kulturschaffenden aller Sparten, darunter Elfriede Jelinek, Eva Menasse, Doron Rabinovici, Martin Kušej, Ruth Beckermann und Erika Pluhar. In diesem offenen Brief sprachen sich die Unterzeichnenden Mitte Jänner für eine „Beendigung der Koalitionsverhandlungen" zwischen FPÖ und ÖVP aus, denn die FPÖ sei „in keiner Regierungskonstellation tragbar“. Sie plane Medien zu zensurieren, ihr Kunst- und Kulturprogramm erschöpfe sich in „Heimatkultur“.
Hände weg!
Und so verkennen die sich volksnah Gerierenden die Lage leider auf verhängnisvolle Weise. „Denn eines sollte klar sein, muss klar benannt werden“, hat Almuth Spiegler, Kulturchefin der „Presse“, unlängst in ihrem Newsletter festgestellt: Österreich sei nur für eines „weltberühmt, nämlich wirklich weltberühmt. Die Kultur. Das kann man weglächeln hierzulande, bleibt aber die Realität.“ Wenn der letzte Schnee geschmolzen sei, läge nur eines noch da: die Kultur. „Das sind Mozart, Klimt und Sisi auf der einen Seite. Das ist die ganze Industrie, die dahinter steht, der Tourismus vor allem, aber auch die Ausbildung, die international nachgefragt ist wie keine andere hier.“
Die Kunst- und Kulturbranche, die nachweislich Arbeitsplätze für Zehntausende zur Verfügung stellt, ist somit alles andere als ein Orchideenverein, keineswegs bloß zuständig für bürgerliche Lebensbehübschung, sondern Ratgeberin in existenziellen Fragen, eine der letzten uneinnehmbaren Bastionen des Humanismus. Ein „nachhaltiges Milliarden-Euro-Baby“ sei Österreichs Kulturbetrieb jedoch zudem, schreibt Almuth Spiegler noch – und den Verantwortlichen ihr Fazit hinter die Ohren: „Die Infrastruktur dafür mutwillig zu gefährden ist schlicht wirtschaftlich fahrlässig. Punkt.“
„Zerstörung von Wahrheit und Realität"
Vor wenigen Tagen erreichte uns ein anderer Appell, der noch alarmierender klang: Andreas Spechtl, Sänger und Komponist der politisch hellwachen, aus dem Burgenland stammenden Gruppe Ja, Panik, stellte ein Posting auf den Instagram-Kanal seiner Band, in dem er in aller Ruhe eine Art Widerstandsplan für die „furchteinflößenden Jahren, die vor uns liegen“ skizzierte. „Wir werden - read my lips –, solange diese rechtsextreme und menschenverachtende Regierung an der Macht sein wird, jede Woche neue Musik veröffentlichen. Für uns, für euch, für alle, die sich alleine fühlen. Für alle, die Angst haben. Und wir haben zu Recht Angst.“
Denn es gehe „um unsere Orte, unsere Sprache, unsere Radios und Plattformen, unsere Gesundheit und soziale Absicherung. Wir wissen, dass es nicht nur um Kontrolle, sondern um die Zerstörung von Wahrheit und Realität geht.“ Man wolle uns weimachen, so Spechtl, dass es keinen Horizont gebe „hinter den riesigen Berglandschaften vor unseren Köpfen. Aber es muss klar sein, dass der Faschismus nicht nur als politisches System funktioniert, sondern dass er nur funktionieren kann, wenn er auch in die Kultur eindringt. (…) So darf unser Widerstand nicht nur politisch sein, sondern muss unbedingt auch ein ästhetischer sein.“
Gesetze, „die xenophob und menschenverachtend sind, die misogyn, homophob und transphob sind, rassistisch oder klassistisch“, werde man nicht anerkennen. „Wir werden diese Gesetze brechen. Mit jedem Atemzug, in jedem Schritt, jedem Text und jedem Lied. Man kann uns anzeigen, beschimpfen, verunglimpfen. Es ist uns egal. Wir haben sie im Blick, wir wissen, wer sie sind. Unsere Gedanken, unsere Ideen lauern hinter jeder Ecke. Sie werden nicht das Terrain bestimmen, auf dem dieser Kampf stattfinden wird. Wir lassen uns nicht einschüchtern.“
Am Ende ruft der Musiker zu Solidarität und Vernetzung auf: „Es werden keine schönen Jahre. Aber wir werden sie ein bisschen schöner machen. Ein bisschen erträglicher.“ Und er spricht eine Einladung aus, ihm und seiner Band via E-Mail oder Telefon Ideen zukommen zu lassen: Texte, Handyaufnahmen, Songskizzen, Sprachnachrichten, whatever. „Wir können alles gebrauchen. Denn es könnte eine lange Zeit sein. Wir brauchen viele Ideen.“
Reputation und Umwegrentabilität
Tatsächlich treiben solche Ideen die Lebensqualität und den Kunstsinn in Österreich seit Jahrhunderten voran. Knapp 670 Millionen Euro ließ die Republik sich im Vorjahr ihre Kulturlandschaft kosten, um all die Bundesmuseen, Theater, Opernhäuser, Festivals, Stipendien, Denkmäler, Musik- und Filmproduktionen dieses Landes zu erhalten, um auch Diversität, Geschlechtergerechtigkeit und Fair Pay in der Branche gewährleisten zu können.
Unnötig zu betonen, dass die investierten Summen Jahr für Jahr ein Vielfaches zurück ins Land spülen, über internationale Auszeichnungen und Einladungen, über Hotellerie, Gastronomie und die Nutzung hiesiger Arbeitskräfte und Einrichtungen durch ausländische Unternehmen. Österreichs guten Ruf als Kulturnation, deren Strahlkraft stets für hohe Umwegrentabilität gesorgt hat, sollte man jetzt besser nicht aufs Spiel setzen. Mit Widerstand ist andernfalls zu rechnen.