Kunstchaos contra Klimakatastrophe!
Flaggen, Jacken, Schilder, Transparente und Nelken in Signalrot, flächendeckend und raumfüllend am Wiener Rathausplatz und im Prater, wo man mit Kinderspielzonen, DJ-Line, Durchhaltereden und Vormittagsbier lockte. Haben Sie den 1. Mai gut hinter sich gebracht? Der Tag der Arbeit, an dem paradoxerweise kaum jemand arbeitet (abgesehen natürlich von SPÖ-Funktionärinnen, Gewerkschaftern und der versammelten Partei-Genossenschaft), ist einem tatsächlichen Arbeits(diens)tag gewichen. Und die traditionellen Abläufe, mit denen Österreichs angeschlagene sozialdemokratische Partei ihren höchsten Feiertag beging, sind heute nur noch fahle Erinnerungen in Blassrosa.
Für profil war Lena Leibetseder am Wiener Rathausplatz und hat eine Reportage mitgebracht. Besonders hart trifft es im Moment SPÖ-Mitglieder, die auch noch Rapid-Wien-Fans sind. Und ein bisschen Widerstand gab es am Rathausplatz dann doch noch. Die ganze Reportage lesen Sie hier.
In Berlin ging man es wie gewohnt härter an, in Kreuzberg flogen wieder die Flaschen Richtung Polizei, loderte das bengalische Feuer, randalierten die Systemskeptiker, auch dies längst urbane Folklore.
Eine gewisse Tendenz zur Eskalation ist in die Geschichte dieses hierzulande seit 1890 zelebrierten Festtags eingeschrieben: Am Haymarket Square in Chicago war es im Mai 1886 im Rahmen des Versuchs des Proletariats, den Achtstundentag per Massendemonstration durchzusetzen, zu mehrtägigen Aufständen und tödlichen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Anarchisten gekommen. Seither haben sich friedlichere Aktivitäten wie Maiaufmarsch und -kundgebung als Erinnerung an den einstigen Arbeitskampf etabliert, mit Dialektsongs, Streichelzoo und anderen Entertainment-Angeboten. Inzwischen kann man am 1. Mai-Rave auch für eine bessere Klimapolitik tanzen. Vielleicht haben Sie sich unter den angebotenen Vergnügungen ja auch das eskapistischere „Schanigarten-Hopping“ ausgesucht, verdenken könnte ich es Ihnen nicht.
Der Müll, der bei alldem produziert wird, ist naturgemäß beträchtlich und könnte, wenn irgendjemand darauf achten würde, als letzte Mahnung an einen kollabierenden Planeten fungieren, Parteimachtkampf und Mitgliederbefragung beiseite, Rendi hin, Dosko her, stimmt doch, es gibt tatsächlich Wichtigeres als die halbheiteren SP-Querelen, die seit Wochen die innenpolitische Berichterstattung dominieren. Menetekel Müll: Auch in Wien ist das Abfallproblem kein geringes. Wenn Sie je Ihr Augenmerk auf feiertäglich-wochenendlich überquellende Mistkübel und Müllcontainer gerichtet haben, wissen Sie vermutlich, wovon ich rede.
Ein sanft gespenstischer Dokumentarfilm zum Thema steht übrigens gegenwärtig in den Kinos zur Ansicht bereit: Nikolaus Geyrhalters "Matter Out of Place“ bietet eine kleine Weltreise mit alternativen, weithin verdrängten Sehenswürdigkeiten an – wuchernde Müllhalden, überlastete Abfallverbrennungsanlagen und biologisch nicht abbaubare Substanzen, vergraben in der Erde, versunken in den Ozeanen, angespült an einstigen Traumstränden.
Auch die Kremser Avantgarde-Institution, die sich hinter dem arglos klingenden Namen „Donaufestival“ verbirgt, hat ihr erstes langes Wochenende erfolgreich hinter sich gebracht – und das Müllmotiv augenfällig bearbeitet: Die Aktionstruppe Toxic Temple hat eine heidnische Neoreligion zur Anbetung des die Erdoberflächen und Meeresböden überziehende Kunststoffs und Gifts gegründet und in bizarren Dreckskult-Ritualen gefeiert. „Let’s get sick with it!“, rufen sie sarkastisch, das werden sie auch am zweiten Donaufestival-Wochenende tun, das ab Freitag auf Sie zukommt. „Mess“ heißt ihr Projekt, eine Chaos-Messe mit Verschmutzungsgarantie. Hurra, wir kranken! Diese Klimaaktivisten kleben nicht, sie klirren, knarren und klagen. Auf zum letzten Gefecht!
Freundschaft! Einen guten Einstand in die kurze Arbeitswoche wünscht Ihnen die Redaktion des profil.