Liebe Politiker: Hört auf, Fake News zu verbreiten!
Ich darf Sie heute mit guten Nachrichten in den Tag schicken. Vielleicht hatten Sie zuletzt Zweifel, ob die Sanktionen, die der Westen über Russland verhängt hat, eine gute Idee waren. Immerhin schaden sie auch unserer Wirtschaft enorm. Ich kann Sie beruhigen: Die Sanktionen treffen Russland hart – viel härter als die EU oder die USA.
„Russlands Wirtschaft implodiert gerade“, sagen Jeffrey Sonnenfeld und Steven Tian von der Yale University im US-Bundesstaat Connecticut. Die Ökonomen haben eine 118 Seiten starke Studie dazu verfasst, wie genau sich die Maßnahmen auf die Wirtschaft des Landes auswirken. Mit mehr als 70 Millionen Aufrufen ist sie das meistgelesene wirtschaftswissenschaftliche Paper, das je im Internet veröffentlicht wurde. Laut Sonnenfeld haben mehr als 3000 Medien auf der ganzen Welt die Ergebnisse der Studie besprochen oder zitiert. In Österreich ging das unter, vielleicht liegt es auch daran, dass offenbar immer noch Zweifel an der Wirkung der Sanktionen gesät werden, vor allem bei Politikern aus dem rechten und konservativen Lager.
Die Yale-Ökonomen nennen die Auswirkungen der Sanktionen auf Russlands Wirtschaft „verheerend“. Dass das bei vielen Politikern im Westen nicht angekommen ist, erklären sie sich unter anderem mit dem Zahlenspiel des Kreml: Die Meldungen zu Wirtschaftsdaten aus Moskau seien zunehmend unvollständig, ungünstige Daten würden weggelassen, darunter Statistiken zu Exporten und Importen, dem Handel mit Öl und Gas sowie Auslandsinvestitionen.
Das Narrativ des Kreml durchbrochen
In ihrem Paper nehmen die Ökonomen die wichtigsten Mythen über die angebliche Wirkungslosigkeit der Sanktionen auseinander. Sie alle aufzuzählen würde diesen Text sprengen, hier eine Auswahl:
Wladimir Putin behauptet gerne, er sei nicht auf Abnehmer aus der EU angewiesen und verkaufe sein Gas nun eben nach Asien. Nur: Der überwiegende Teil der russischen Pipelines führt nach Europa; das Gas kann nicht so einfach nach Asien umgeleitet werden. Der Bau neuer Pipelines dauert Jahre – und die Pipeline, die Ostsibirien mit Asien verbindet, hat nur zehn Prozent der Kapazität des europäischen Pipelinenetzes. Tatsächlich sind die 16,5 Milliarden Kubikmeter Gas, die Russland im vergangenen Jahr nach China exportierte, weniger als zehn Prozent der 170 Milliarden Kubikmeter, die Russland nach Europa lieferte.
Kurz gesagt: Russland ist viel stärker auf ausländische Märkte – allen voran Europa – angewiesen als die Welt auf Lieferungen aus Russland.
Ein weiterer Mythos besagt, dass der Inlandskonsum in Russland ungebrochen stark ist. Auch das ist falsch. In Branchen, die besonders abhängig von internationalen Lieferketten sind, beträgt die Inflation 40 bis 60 Prozent. Die Absatzzahlen sind niedrig: So ist etwa der Verkauf ausländischer Autos in Russland bei den großen Autofirmen um durchschnittlich 95 Prozent eingebrochen.
Hohe Energiepreise bringen keine großen Gewinne
Falsch ist auch die Behauptung, dass die aktuell hohen Energiepreise den russischen Staatshaushalt heuer zu retten vermögen. Sogar das russische Finanzministerium spricht von einem Haushaltsdefizit in Höhe von zwei Prozent des BIP. Das liegt an den extrem hohen Militärausgaben, aber auch an monetären Interventionen des Kreml, die dazu beigetragen haben, dass sich die Geldmenge in Russland seit Beginn der Invasion fast verdoppelt hat. „Putins rücksichtslose Ausgaben bringen die Finanzen des Kremls eindeutig unter Druck“, schreiben die Yale-Ökonomen.
Die Zahlen zum russischen BIP, die Moskau meldet, seien schlicht falsch. Putin hat seine Top-Wirtschaftsstatistiker entlassen und hält alle wichtigen Statistiken zum Volkseinkommen zurück. Dazu gehören Handelszahlen, Produktionszahlen, Finanzströme und Transportdaten. Die Conclusio der Ökonomen: Die Inflation schießt in die Höhe, die Produktion bricht ein, die Arbeitslosigkeit ist schwindelerregend hoch. Gleichzeitig können die Defizite nicht mit Krediten ausgeglichen werden, weil niemand investieren will und Russland seine Schulden nicht mehr bedienen kann: Selbst China hat seine Kredite an Russland bei der Bank of China und der Industrial and Commercial Bank of China gekürzt und gleichzeitig die Importe nach Russland um die Hälfte reduziert.
Die Wirkung der Sanktionen muss also keiner „Evaluierung“ unterzogen werden, wie Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer kürzlich forderte. Das haben schon Berufenere getan – mit eindeutigen Ergebnissen.
Siobhán Geets