Morgenpost

Long-Covid in der Politik

Die Pandemie der falschen Versprechungen wirkt lange nach – der Fehler Impfpflicht besonders. Höchste Zeit, die Corona-Maßnahmen unaufgeregt und fundiert aufzuarbeiten.

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Wohl nirgendwo auf der Welt wurde die Corona-Pandemie politisch so früh und so häufig für beendet erklärt wie in Österreich. Schon im August 2020 sah der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz optimistisch und überzeugt „Licht am Ende des Tunnels“, der damalige Gesundheitsminister Rudolf Anschober hielt im Sommer 2020 eine zweite Corona-Welle für unwahrscheinlich. Es kam komplett anders, statt dessen passierten weitere Corona-Wellen und weitere Lockdowns. Unverdrossen verkündete Kurz im Juni 2021, dass die „Pandemie gemeistert“ sei. Auch das stimmte nicht, noch ein Lockdown und der wohl schwerste Fehler der türkis-grünen Regierung im Corona-Management folgten – die Verkündigung der Impfpflicht. Vereinbart als verzweifelte Hau-Ruck-Aktion im November 2021 im Raucherkammerl der Landeshauptleutekonferenz vom damaligen Kanzler Alexander Schallenberg und damaligen Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein. Einen derart schwerwiegenden Eingriff in Grundrechte so nebenbei auszuhecken, das verstörte auch Menschen, die alles andere als Corona-Leugner und selbstverständlich geimpft waren. Passte aber zur Pandemie an falschen Versprechungen – denen rigorose Maßnahmen folgten.

Jetzt, im Februar 2023, ist die Corona-Pandemie wirklich vorbei, alle Maßnahmen laufen aus. Der Unmut über den Zick-Zack-Kurs der Politik, garniert mit Show-Einlagen wie die angebliche Lieferung des Impfstoffs Sputnik, ist aber noch lange nicht ausgestanden und hält an – wie bei der Niederösterreich-Wahl überdeutlich wurde. „Bei den Leuten hat sich so viel aufgestaut“, weiß etwa Anton Erber aus dem Bezirk Scheibbs zu berichten, der seit 25 Jahren für die ÖVP im Landtag sitzt. Sein Kollege Engelbert Steinkogler, seit Jahrzehnten ÖVP-Gemeinderat, wechselte gar aus Zorn über Lockdowns und Impfpflicht zur FPÖ. Ihre Geschichten, auch wie Impfquoten und Wahlverhalten zusammenhängen und was das mit dem neuerlichen Aufstieg der FPÖ zusammenhängt, können Sie in der aktuellen profil-Covergeschichte nachlesen.

Unabhängig vom Wahlergebnis: Das Aus der Corona-Maßnahmen ist der ideale Zeitpunkt, die langen Jahre der Pandemie-Maßnahmen gründlich und kritisch aufzuarbeiten. War die Schließung der Schulen ein Fehler? Das Besuchsverbot in Pflegeheimen richtig? Wann herrschte Übersterblichkeit und warum? Waren alle Lockdowns notwendig? Was hat das gut ausgebaute, aber teure System der Corona-Tests gebracht? Funktioniert der Austausch von Statistiken zwischen Ministerien, Bund und Ländern mittlerweile? Waren all die Milliarden an Corona-Hilfen treffsicher und richtig? Welche Impfkampagnen wirkten und welche nicht? Kurz: Welche gesundheitlichen, sozialen, psychischen, ökonomischen Auswirkungen hatte Österreichs Corona-Politik? All diese Fragen gehören von Expertinnen und Experten fundiert beantwortet – nicht deshalb, um im Nachhinein gnadenlos besserwissern zu können, sondern um zu lernen. Die Pandemiesituation war für alle Neuland, Fehleinschätzungen oder einige falsche Reaktionen daher fast unvermeidlich – zumal angesichts der katastrophalen Bilder aus Italien.

Aber: Jetzt, im Nachhinein muss evaluiert werden, ohne Furor, ganz sachlich, anhand von Zahlen-Daten-Fakten, ohne Scheuklappen in irgendeine Richtung, ohne Schuldzuweisung – um Lehren daraus zu ziehen, auch für eine allfällige nächste Pandemie.  Und ja, auch wir Medien sollten unsere Rolle aufarbeiten: Waren wir manchmal zu alarmistisch? Zu einseitig?

Wenn es gelingt, auf all diese Fragen unaufgeregte Antworten zu geben – könnte Österreich langsam, aber sicher vom Corona-Ausnahmezustand in den Normalzustand zurückkehren. Diesmal aber wirklich.

Haben Sie einen schönen Tag!

Eva Linsinger

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin