Machtrausch, Muskelspiele und Müßiggänge
Heute vor genau 25 Jahren wurde die erste schwarz-blaue Koalition unter Massenprotesten angelobt. Die FPÖ wurde mit Hilfe der ÖVP, die damals auf Platz drei lag, zum ersten Mal Juniorpartner einer Regierung – Österreich löste damit ein weltweites, politisches Beben aus. Es könnte bald wieder so weit sein, die Welt blickt erneut auf die Alpenrepublik. Denn erstmals könnte nun die FPÖ den Kanzler stellen, und das sollte, so hat es die FPÖ angekündigt, mit einem massiven Umbau des Staates einhergehen. Ob und zu welchen Bedingungen das passieren kann und wird, ist Gegenstand der Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP.
Dort steht es Spitz auf Knopf, es geht auf und ab. Spannende Zeiten für Politjunkies, wie wir es in der profil-Redaktion sind. Es sollte sich die nächsten Tage herauskristallisieren, ob diesem Koalitionsprojekt Leben eingehaucht werden kann. Bis zur Entscheidung möchte ich Sie mit einem morgendlichen Newsletter am Laufenden halten, was hinter den Kulissen gerade geschieht.
Ab Montagfrüh, sieben Uhr, haben ohnehin von mühsamen Gesprächen geplagte Verhandler Anrufe von mir bekommen. Es war nicht nur der unmöglichen Uhrzeit geschuldet, dass einige nicht ans Telefon gingen. Etliche Verhandler saßen am Montag nämlich nicht am Verhandlungstisch, sondern bereits in der Schihütte beim Frühstück. Ich möchte hier nicht den Eindruck vermitteln, dass in der Hochphase der Koalitionsverhandlungen niemand arbeitet, der sollte. Dem ist nicht so. Die meisten Untergruppen sind seit dem Wochenende mit ihrer Arbeit fertig. In vielen Bereichen gab es Einigungen, in manchen respektlose Zankereien. Jene Themen, bei denen es keinen Konsens gab, liegen jetzt bei den Chefs, die im Endspurt für eine Koalition nochmal in den Ring steigen müssen. Nach einem kurzen Treffen vergangene Woche planen ÖVP-Chef Christian Stocker und FPÖ-Chef Herbert Kickl, bis zur Wochenmitte intensive Gespräche zu führen. Bis Ende der Woche wollen die beiden für sich Klarheit schaffen, ob man miteinander kann.
Jetzt reden die Erwachsenen
Bisher haben die beiden Big Bosse noch wenig über Inhaltliches gesprochen. Eigentlich ist es ein Fortschritt, dass sie überhaupt einmal miteinander reden. Herbert Kickl hielt sich mit der Annahme von Gesprächsangeboten zuerst zurück, war für die ÖVP oft nicht erreichbar – und wenn, dann war die Stimmung eher unterkühlt. Das änderte sich mit Ende letzter Woche. Stocker und Kickl führten ein erstes Gespräch – wie man hört, in moderater Tonalität. Die FPÖ, die bisher in einem Machtrausch ihre Muskeln spielen ließ, signalisierte auch in heiklen Themen Gesprächs- und Kompromissbereitschaft. Vielleicht ist ihr eingefallen, dass man am Ende einen Koalitionspartner braucht – daran würden auch Neuwahlen nichts ändern, selbst wenn man daraus gestärkt hervorginge. Die gedemütigte ÖVP ihrerseits hat ein bisschen von ihrem Selbstbewusstsein wiedergefunden und steckt nun trotz aller Kompromissnotwendigkeit ihre roten Linien ab – Rechtsstaatlichkeit, eine pro-europäische Linie und die Wahrung von Menschenrechten gehören dazu. Dass eine Bisher-Kanzlerpartei derartige Minimalanforderungen überhaupt als Bedingungen nennen muss, zeigt, von welchem Niveau wegverhandelt wird.
Nehmen wir das Thema Medien: Dazu wurde vergangene Woche verhandelt. Man einigte sich auf – nennen wir es – Blabla. Grundsätzlich einigte man sich auf Medienvielfalt. Auf die Stärkung des Medienstandortes. Und dass man beim ORF was tun muss. Freilich wurde auch die Medienförderung diskutiert. Klingt eh ganz vernünftig, aber was versteht die jeweilige Partei darunter? Die ÖVP meint mit „Medienvielfalt“, vorrangig, die etablierten Medien in der digitalen Transformation weiter zu unterstützen. Man setzt dabei auf objektiv messbare Qualitätskriterien, wie sie jenen abverlangt werden, die an der vor einem Jahr geschaffenen Qualitätsjournalismusförderung partizipieren wollen. Da geht es etwa um Qualitätssicherungsmechanismen, ob es Verurteilungen von Presserat oder medienrechtlicher Natur gab, wie man mit eigenen Fehlern umgeht, um Anstellungsverhältnisse, Frauenförderung. Und um die inhaltliche Breite der Themen.
Die FPÖ versteht unter Medienvielfalt etwas anderes – die Medienförderung sollte auch für „andere“ Medien geöffnet werden, die zu mehr „Meinungsvielfalt“ führen. Die FPÖ hat ja bekanntlich ihr eigenes Medienimperium geschaffen – und hat in ihrem Umfeld noch ein paar Lieblingspropagandamedien, die unter anderem vom Verfassungsschutz in Deutschland und Österreich wegen rechtsradikaler Ausrichtung beobachtet werden. Nur um es einmal zu sagen: Es gibt schon so etwas wie Fakten – die zwar von Populisten gerne in verzogene Narrative gepackt werden, mit denen dann Meinung und Emotion gemacht werden. Mit professionellem Journalismus hat das aber nichts zu tun. Und mit „Meinungsvielfalt“ schon gar nicht.
Hauptfeind ORF
Die FPÖ warf dazwischen offenbar auch die Idee ein, dass man Medienförderung nur mehr an die reichweitenstärksten Medien verteilt werden soll – auch hier wären wir wieder bei ihren Propagandamedien, die tatsächlich viele Menschen erreichen. Und freilich beim Boulevard. profil würde als kleines, feines Magazin dann vermutlich nichts mehr bekommen.
Hauptfeind Nummer eins der FPÖ sind aber gar nicht die privaten Medien, sondern der ORF. Mit dem angeblich so politisch gefärbten, unobjektiven ORF wurde im Wahlkampf viel Stimmung gemacht. Dementsprechend müssen die Blauen jetzt für ihre Wähler einen Verhandlungserfolg per „Reform“ einfahren. Eine differenzierte Diskussion und gehaltvolle Kritik stehen dabei nicht im Zentrum. Es geht trotz derzeit geltender Beschlüsse um das Auswechseln von nicht genehmem Personal. Man könnte das auch politische Willkür nennen. Wie der ORF künftig finanziert werden soll, ist offen. Die Haushaltsabgabe soll weg (es ist ja so unfair, dass das alle bezahlen müssen) – und der ORF aus dem Budget finanziert werden. Nur, da klafft auch ein riesiges Loch – davon abgesehen, dass „Budget“ nichts anderes ist als Steuergeld. Es würden also wieder alle bezahlen.
Prinzipiell findet die FPÖ aber sowieso: Medien sollten nicht so viel Geld vom Staat bekommen. Man solle sich selbst finanzieren können, und wenn das nicht funktioniert, dann ist man wohl selbst schuld. Warum sollten alle zahlen? Erstens: Medien konnten noch nie nur von Lesern leben, es war vor allem der Werbemarkt, der aufgrund verschiedener Umstände immer mehr zusammenbricht. Wir befinden uns in einer Transformation. Und ja, wir würden gerne nur von Leserinnen und Lesern leben, aber da müssen wir erst hin. Haben Sie schon ein profil-Abo? Wir haben hier super Angebote! Zweitens: Ich persönlich kann nicht Autofahren und bezahle mit meinen Steuern für Straßenbau. Ich war in meinem Leben vielleicht drei Mal in der Oper und zehn Mal im Burgtheater – auch diese Institutionen erhalten jährlich Millionen. Trotz Weltberühmtheit, ausgebuchten Vorstellungen und eher betuchten Kunden. Warum? Weil Qualität kostet. Und weil ein kulturelles Angebot für eine Gesellschaft eben genauso wichtig ist, wie genug Möglichkeiten zu haben, sich zu informieren.
Was Kickl und Stocker zu diesem und anderen Themen besprechen, darüber informiere ich Sie jedenfalls morgen wieder!
Genießen Sie Ihren Tag!