Morgenpost

Medienkompetenz und Demokratie: Die Grenzen des Journalismus

Faktenchecks sind nur so gut, wie die Leute, die sie machen und die sie lesen. Aber helfen sie überhaupt?

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Nikki Haley sei schuld an den Ausschreitungen vor dem US-Kapitol am 6. Jänner 2021 gewesen, behauptete Donald Trump neulich. Nikki Haley? Die Republikanerin ist die letzte ernstzunehmende Konkurrentin Trumps im Kampf um die Präsidentschaftskandidatur. In seiner ersten Amtszeit war die 52-jährige US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, zog sich aber wegen Trumps erratischer Politik zurück.  

Für die Sicherheit im US-Kongress war Haley hingegen nie verantwortlich. Trump verwechselte sie mit Nancy Pelosi. Seine Gegner glaubten ein abermaliges Anzeichen für seinen geistigen Verfall gefunden zu haben, doch wirkt der Ex-Präsident weiter angriffslustig. Möglich ist, dass Trump ganz genau wusste, womit er Haley bezichtigte. Denn seiner „postfaktischen“ Wählerschaft ist es egal. Die Lüge verselbstständigt sich und wird wahr – zumindest für seine Hardcore-Fans hat sich deshalb der Begriff der „alternativen Fakten“ etabliert.

Toxischer Umgang 

Auch in Österreich sind zahlreiche Falschaussagen im Umlauf, die von Medien wie profil, aber auch den Kolleginnen und Kollegen widerlegt wurden. Speziell eine Partei fällt dabei nicht nur immer wieder durch die Verbreitung falscher Tatsachen auf: Überführt, reagiert sie gereizt, mitunter beleidigend. 

Für Medienschaffende ist das ein Dilemma. Thomas Laschyk, Betreiber des deutschen Online-Faktenchecks „Volksverpetzer gibt sich in der deutschen Tageszeitung TAZ resigniert: „Sie (Demokratiefeinde, Anm.) wissen, dass wir nicht anders können, als zu versuchen, ihre vielen Fehler und Lügen argumentativ zu widerlegen.“ Das kostet Zeit und Kraft. Kaum ist eine Lüge widerlegt, stehen zehn neue im Raum. „Denn wir sind Demokraten … wir wollen bei der Wahrheit und den Fakten bleiben“, so Laschyk weiter. Und dieser Kampf mit ungleichen Waffen, führe dazu, dass man gegen die Feinde der Demokratie verliere. 

Die Populisten nutzen demokratische Prozesse, um Sand ins Getriebe zu streuen. In parlamentarischen Anfragen wird beispielsweise versucht, Kampagnen gegen Desinformationen zu delegitimieren und in „Zensur“ umzudeuten.

 

Dialog als Einbahnstraße 

Und was machen die demokratischen Kräfte? Sie wollen weiter in „Dialoge“ mit den Populisten treten, sie „demaskieren“ und „bloßstellen“. Dabei erklärt sich der Erfolg an den Wahlurnen gerade durch das Geschrei des Unsagbaren, durch die Vergiftung des politischen Diskurses und dem Verlust der Etikette.  

Hinzu kommt nicht nur die Leugnung von Fakten, man dreht sie einfach um. Aus Pelosi – die im Übrigen ebenfalls nicht für die Kapitol-Erstürmung verantwortlich war, sondern Trump selbst – wird Haley. Aus Schutzmaßnahmen gegen ein tödliches, unerforschtes Virus wird eine „Diktatur“. Aus einem Gesetz für die Schaffung von Mechanismen gegen Falschinformation wird „Zensur“. 

 

Medienkompetenzen stärken 

Tim Dombrowski betreibt mit seinem österreichischen Institut „Digitaler Kompass“ den Faktencheck bait“ auf TikTok. Der Rechercheur betont, dass die Medienkompetenz der Menschen bereits in der „in der Schule gestärkt werden“ müsse, so als wäre es „ein Unterrichtsfach wie Mathe oder Deutsch“. Seine Organisation schickt regelmäßig Journalist:innen in Schulen, um Kindern und Jugendlichen zu vermitteln, wie man Fake News entlarvt. 

Zwar haben Dombrowski zufolge „Jugendliche ein besseres technologisches Verständnis davon, was echt ist“ und könnten sogenannte Deepfakes und manipulierte Bilder schneller als solche entlarven, doch fehle es andererseits „an Lesekompetenz bei der Einordnung vom Kontext der Informationen“. „Ein Faktencheck bringt vor allem etwas, wenn man gelernt hat, ihn aktiv für sich zu nutzen“, sagt der Geschäftsführer des „Instituts für Nachrichtenkompetenz und Digitale Bildung“. „Wir müssen die User:innen so vorbilden, dass Verschwörungsnarrative und Falschinformationen bereits im Vorhinein als solche erkannt werden.“

Denn Journalismus kann nur so gut sein, wie die Gesellschaft, für die er schreibt.

Moritz Gross

hat im Rahmen des 360° JournalistInnen Traineeship für das Online-Ressort geschrieben.