Morgenpost

Eine Tablette, zwei Wirkungen: Frauen werden in der Medikamentenforschung ignoriert

Männer sind fast überall die Norm, in der Medizin ist das nicht anders. Jahrelang wurden weibliche Körper aus der Medikamentenforschung ausgeschlossen. Dabei gibt es zwischen Männern und Frauen gravierende Unterschiede. Jetzt muss die Forschung umdenken.

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Wussten Sie eigentlich, dass bestimmte Medikamente bei mir - als Frau - stärker wirken als bei meinem Bruder, Vater oder männlichen Freunden? Was hier stärker wirkt, ist aber vor allem das Negative: Denn eine Studie bestätigt: (Neben-)wirkungen sind bei Frauen oftmals viel stärker als bei Männern. Meist kommt es dabei neben dem Wirtstoff vor allem auf die Dosierung an. Weitere Studien stellen die Notwendigkeit der Spezifizierung fest, so unterscheiden sich Symptome und Verläufe bei Diabetes oder Covid-19, laut der „Gender Medicine Unit“.

Mittlerweile wissen wir, dass Männer und Frauen Schmerz anders empfinden, unterschiedliche Verhaltensweisen beim Aufsuchen medizinischer Hilfe aufzeigen - Männer besuchen seltener Therapeut:innen, Frauen fällt es schwer, sich wegen chronischer Beschwerden an jemanden zu wenden. Die Unterschiede in der Medikamentenforschung kennt aber kaum jemand, denn seit jeher gilt: Der Mann ist die Norm. Frauen werden währenddessen schon immer unterrepräsentiert, dabei braucht es dringend geschlechterspezifische Forschung. 

Die gravierendsten Unterschiede bemerken Frauen in der Einnahme alltäglicher Medikamente. So wirkt Aspirin erwiesenermaßen bei Männern und Frauen völlig unterschiedlich. „Andere Präparate haben stärkere Auswirkungen und vor allem größere Nebenwirkungen“, erklärt Dr. Alexandra Kautzky-Willer, erste Professorin für Geschlechtermedizin und Leiterin der „Gender Medicine Unit“. Denn Frauen wurden in der medizinischen Forschung von Anfang an kaum miteinbezogen und wenn, dann nur unterrepräsentiert. 

Weiblicher Zyklus und Vertrauen in Medizin 

Das liege zum Teil auch daran, dass man bei weiblichen Probandinnen nicht nur das Geschlecht selbst vertreten sein muss, sondern auch Frauen in unterschiedlichen hormonellen Phasen, sagt die Fachärztin. Bei Frauen kommt es etwa darauf an, ob sie vor, während oder nach der Menopause an Studien teilnehmen, ob eine Schwangerschaft besteht oder in welcher Zyklusphase sie sich gerade befinden. Dass Frauen in der Medikamentenforschung derart unterrepräsentiert sind, ist aus heutiger Sicht absolut unverständlich, erklärt sich aber gewissermaßen durch die Medizingeschichte. Nicht nur seien patriarchale Strukturen ausschlaggebend dafür gewesen den Prototypen weiß, männlich, mittleren Alters für Forschungszwecke auszuwählen, auch die Angst vor Nebeneffekten begleitet die Untersuchungen seither. „Spätestens seit der Testung des Medikaments Contergan und der damaligen Beschwerden bestehen massive Ängste vor Konsequenzen für Probandinnen, die ungeplant schwanger werden“, erzählt die Expertin im Gespräch mit profil. Der Wirkstoff Thalidomid, er wurde unter dem Markennamen Contergan verkauft, führte in den 1950er/1960er Jahren zu zahlreichen schweren Schädigungen an ungeborenen Kindern und damit zum Contergan-Skandal.

Daten gab es damals nicht, heute sind sie noch immer selten. Neben der Kostenfrage - für die Forschung an Frauen müssen meist mehrere Testgruppen teilnehmen, um repräsentative Aussagen für Frauen jeder Zyklusphase tätigen zu können. Zum anderen hat man Frauen schlichtweg ignoriert. Bis heute ist das Wissen darüber, ob und welche Medikamente Frauen im gebärfähigen Alter nehmen sollten, defizitär.

Der Herzschmerz ist anders

Unterschiede gibt es aber nicht nur in der Medikation, sondern auch in der Wahrnehmung und Diagnose von Krankheitsbildern. Stellen Sie sich zum Beispiel einen Mann vor, der sich vor Schmerzen in der Brust krümmt. Die meisten werden hier einen Herzinfarkt vermuten. Bei einer Frau denkt man vorrangig an eine Panikattacke. „Bei Frauen geht man eher davon aus, dass sie unter psychischen Erkrankungen leiden“, bestätigt die Fachärztin. Depressionen werden bei Frauen außerdem teilweise überdiagnostiziert, während Männern seltener psychische Erkrankungen zugeschrieben werden. Was den Herzinfarkt selbst betrifft: den gibt es bei Frauen wie bei Männern, nur sehen die Anzeichen dafür völlig anders aus. Frauen klagen über Übelkeit und Schwindel, während der Schmerz bei Männern in Arm, Schultern und Rücken strahlt.

Frauen, die kleineren Männer

Ein großes Problem in der Medikamentenforschung sei vor allem aber, dass man teilweise noch immer von Frauen als kleinere Männer ausgehe, meint Kautzky-Willer. Dabei könne man die zahlreichen Faktoren, auch psychosozialer Natur, die Männer und Frauen unterscheiden, nicht so einfach ignorieren. Mittlerweile gibt es aber Licht am Ende des Tunnels. Spät, aber doch interessiert man sich nach Männern und Mäusen endlich auch für Frauen als Probandinnen. In den USA sei man da schon weiter, sagt die Fachärztin. Die Food and Drug Administration (FDA) hat beispielsweise die Dosis für das Schlafmittel Zolpidem für Frauen halbiert; Studien hatten davor bestätigt, dass das Geschlecht die Wirkung eindeutig beeinflusst.

Wie es zu dem Mangel kommen konnte, welche Präparate davon konkret betroffen sind und ob demnächst Besserung zu erwarten ist, lesen Sie im neuen profil.

Karolina Heinemann

hat im Rahmen des 360° JournalistInnen Traineeship für das Online-Ressort geschrieben.