Die geheimnisvolle Welt der Mikroben
Morgenpost

Mikroben sind super!

Bakterien, Pilze und Viren können helfen, Leben zu retten und Umweltprobleme zu lösen. Höchste Zeit, ihr nützliches Potenzial zu würdigen und besser zu verstehen.

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Reden wir heute über Mikroben, und zwar über ihre guten Seiten. Generell haben Klein- und Kleinstlebewesen ein schlechtes Image: Man denkt an Infektionskrankheiten, üble Gerüche und ekelhaften Befall von Wohnräumen, den man am besten mit harter Chemie bekämpft. Doch Mikroorganismen können auch nützlich sein, und in jüngster Zeit berichtet die Wissenschaft in auffallend dichter Abfolge darüber, wie sie dabei helfen könnten, große Probleme der Menschheit zu lösen oder wenigstens einzudämmen.

Am Dienstag dieser Woche vermeldete die Medizinische Universität Wien die erste Anwendung von Bakteriophagen in Österreich. Bakteriophagen sind Viren, die ausschließlich Bakterien befallen und zerstören (und damit, streng genommen, keine Mikroorganismen sind, weil Viren nicht leben). Aufgrund der Erfolgsgeschichte der Antibiotika hatten Bakteriophagen die längste Zeit keine praktische Bedeutung. Heute, da Resistenzen die Wirkung von Antibiotika drastisch einschränken, greift man auf Bakteriophagen zurück – in Wien offenbar mit Erfolg. Ein Patient, dessen Lunge durch Bakterienbesiedlung massiv beeinträchtigt war und auf keine Antibiotikabehandlung ansprach, erlebte innerhalb eines Monats dank der Phagen-Therapie eine deutliche Besserung.

Pilze als Fleischlieferanten

Ein anderes Einsatzgebiet für Mikroben wurde kürzlich hitzig debattiert, in Österreich wie auch auf EU-Ebene: die Herstellung von Fleischersatzprodukten, für die unter anderem Mikroorganismen verwendet werden können. Reflexartig warnten Politiker wie Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig vor „Kunstfleisch aus der Fabrik“, doch Alternativen zu herkömmlich produziertem Fleisch wird es in Zukunft brauchen: wenn der Faktor Tierwohl an Bedeutung gewinnen soll und wenn wir die Treiber des Klimawandels in den Griff bekommen wollen (zu denen auch Massentierhaltung zählt), gerade im Hinblick auf größeren Bedarf an Nahrungsmitteln aufgrund einer wachsenden Weltbevölkerung. Schon heute beanspruchen Tierhaltung und Futterproduktion drei Viertel der nutzbaren Fläche des Planeten.

Forschende setzen beispielsweise auf den klassischen Ansatz der Fermentation, um mit Bakterien, Pilzen oder Algen Fleischersatzprodukte zu schaffen. Genetisch modifiziert, können die Mikroben im Wege sogenannter Präzisionsfermentation gezielt gewünschte Produkte oder Geschmacksrichtungen herstellen. Der Grundbaustoff ist immer Protein, also Eiweiß. Ein deutsches Startup setzt beispielsweise auf die Kultivierung ausgewählter Pilzsorten, um aus Proteinen völlig neue Nahrungsmittel zu erzeugen – solche mit Fleischgeschmack, aber auch gänzlich neue Produkte, die etwa Burgern ähneln und einen hohen Gehalt an Proteinen und Ballaststoffen besitzen sollen.

Recycling mit Bakterien

Nächstes Beispiel: Wie wird die Welt jene rund 400 Millionen Tonnen Plastik los, die derzeit Jahr für Jahr anfallen? Zusätzlich zu bisherigen mechanischen oder chemischen Verfahren des Recycling könnten Bakterien helfen. Seit knapp 20 Jahren kennt die Forschung Mikroorganismen, die sich auf Plastik stürzen und bestimmte Kunststoffe verstoffwechseln oder in seine Bestandteile zerlegen. Das allein wird die Plastikberge nicht beseitigen, könnte aber immerhin einen wichtigen Beitrag leisten. Eine andere Variante ist die Herstellung von Bioplastik als Ersatz für erdölbasierte Produkte. Forschende der Universität Graz stellten im Jänner ein Verfahren vor, bei dem mithilfe von Bakterien Enzyme entstehen, die zur Herstellung stabiler Formen von Bioplastik genutzt werden können.

Und noch ein letztes Beispiel: Biomining. Der Bedarf an Metallen und seltenen Erden steigt ständig, um Elektroautos, Windräder, Solaranlagen und elektronischer Geräte zu fertigen. Deren Gewinnung ist jedoch ein schmutziger, umweltschädlicher Job. Inzwischen sind allerdings Bakterienarten bekannt, die die begehrten Rohstoffe aus Gesteinen lösen können – und ebenfalls zumindest einen Beitrag zur Deckung der Nachfrage leisten können.

Mit Sicherheit werden in Zukunft noch viele weitere Anwendungen erforscht. Dass hier enormes Potenzial schlummert, ist im Grunde nicht überraschend: Mikroorganismen sind die heimlichen Herrscher unseres Planeten, jeder Quadratzentimeter Boden, jeder Milliliter Wasser und auch wir selbst sind dicht besiedelt von ihnen. Unser eigenes Genom besteht sogar teilweise aus Viren, die sich vor langer Zeit ins Erbgut integriert haben. Mikroorganismen können eine Menge nützlicher Eigenschaften besitzen. Es wäre gewiss sinnvoll, sie nach und nach besser zu verstehen, um vielleicht einige der großen Herausforderungen unserer Zeit in Angriff nehmen zu können.

Alwin   Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft