Morgenpost

Minister Rauch will 500 Kassenärzte mehr

Überfüllte Notaufnahmen und gesperrte OPs – die Spitäler kommen an ihre Belastungsgrenze. Die Lösung des Gesundheitsministers: Mehr Hausärzte sollen die übervollen Kliniken entlasten. Wenn das bloß so einfach wäre.

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Eines muss man dem grünen Gesundheitsminister Johannes Rauch lassen: Er ist kein Schönfärber. In Interviews warnt er regelmäßig davor, dass das öffentliche Gesundheitssystem gegen die Wand zu fahren drohe. Im ausführlichen Gespräch mit profil wird er noch deutlicher: „Wenn wir jetzt nichts machen, dann kommt es in fünf Jahren zu brutalen Einsparungen, zu Spitals-Schließungen und Kürzungen im Gesundheitssystem. Das will ich nicht.“

Die Diagnose des Ministers klingt drastisch, aber sie ist – leider – treffend: Seit Wochen setzen frustrierte Pflegekräfte und Ärzte Notrufe aus Spitälern ab. Oberärzte des Klinikums Wien-Ottakring sahen sich vor zwei Wochen gar zu einer Gefährdungsanzeige beim Wiener Gesundheitsverbund gezwungen, weil die Notaufnahme vor Patienten überging. Eine angemessene Versorgung war nicht mehr möglich. Auch aus den Bundesländern sind dramatische Alarmsignale zu hören: Aus steirischen Kliniken wurden achtstündige Wartezeiten in der Notaufnahme und geschlossene Herz-OPs gemeldet.

Die Gründe sind vielfältig: Neben einem chronischen Mangel an Pflegepersonal, mehr Krankenständen und einem Trend zur Teilzeitarbeit, strömen auch immer mehr Patienten in die Kliniken – bei gleichbleibenden Personalständen.

Hat der Gesundheitsminister ein Rezept gegen den drohenden Kollaps? Im Interview mit profil skizzierte Rauch drei Lösungsansätze. Ob er sie umsetzen kann, wird stark von den aktuell laufenden Finanzausgleichsverhandlungen abhängen, bei denen der Bund und die Länder über die Verteilung der Steuereinnahmen feilschen – der Gesundheitsbereich ist traditionell einer der größten Brocken, weil die Länder für die Finanzierung der Spitäler zuständig sind. Und dafür ausreichend Mittel fordern.

Rauchs Ziel ist es allerdings, mehr Gelder als bisher für den niedergelassenen Bereich freizuschaufeln. Die Idee dahinter: Wenn mehr Patienten von Hausärzten und in Primärversorgungszentren behandelt werden, entlastet das die Spitäler und spart außerdem Geld. Denn eine stationäre Behandlung ist immer die teuerste Variante.

  1. Wahlärzte einschränken

Immer mehr Gesundheitspolitiker machen gegen die Wahlärzte mobil – der Minister ist einer von ihnen. Im Unterschied zu Kassenärzten müssen Wahlärzte sich nicht an Mindestöffnungszeiten halten, sie müssen keine Wochenenddienste verrichten und können ihr Honorar selbst festlegen. Die Patienten bekommen bei einem Wahlarztbesuch nur 80 Prozent von dem Betrag zurück, den die Kasse einem Vertragsarzt für die Leistung bezahlen würde. Den Rest müssen sie selbst berappen. Seit einem Jahrzehnt gibt es einen starken Trend zur Wahlarztpraxis, längst gibt es deutlich mehr Wahl- als Kassenärzte. Das Problem daran: Die Ärzte fehlen im öffentlichen Gesundheitssystem, immer mehr Kassenpraxen bleiben unbesetzt. Gesundheitsminister Rauch kann sich hier Einschränkungen vorstellen – zum Beispiel bei Spitalsärzten, die nebenher eine Wahlarztordination betreiben. Ein Konflikt mit der machtbewussten Ärztekammer ist programmiert.

  1. Den niedergelassenen Bereich ausbauen

Mehr Geld für Kassenarzt-Stellen klingt einfach – ist es aber nicht. Für die Vertragsärzte sind die Krankenkassen zuständig, die sich durch Sozialversicherungsbeiträge finanzieren. Die Spitäler wiederum werden von den Ländern verwaltet. Beide Seiten denken nicht daran, Macht und Einfluss abzugeben. Das lähmt seit Jahrzehnten viele Reformbemühungen. Rauch wagt einen neuen Anlauf: Er will so viel Geld in den niedergelassenen Bereich umleiten, dass damit 500 neue Kassenstellen finanziert werden können. Selbst wenn Rauch dieser Kunstgriff gelingen sollte, bleibt eine Frage offen: Werden sich ausreichend Mediziner finden, die diese Stellen besetzen? Neben einem Ausbau der Kassenarzt-Stellen setzt der Minister – wie schon seine Vorgänger – auf Primärversorgungszentren, in denen mehrere Ärzte gemeinsam mit anderen Gesundheitsberufen zusammenarbeiten, mehr Leistungen abdecken und längere Öffnungszeiten bieten 75 dieser Zentren sollte es bis 2021 geben, derzeit hält Österreich bei 39.

  1. Pflegepersonal anwerben

Der Mangel an geschultem Pflegepersonal ist in Österreich so akut, dass Pflegeheimbetreiber und Kliniken längst auf der ganzen Welt nach Personal suchen. Im Grazer Klinikum arbeiten inzwischen zwölf Pflegerinnen aus Kolumbien. Pro Pflegerin gehen 10.000 Euro an Vermittlungsprovision an einen Headhunter. Auch von den Philippinen werden Pflegekräfte abgeworben. Die Nostrifizierungsverfahren sind langwierig, nicht alle Kandidaten bekommen eine Arbeitsbewilligung. Der Minister will den Prozess beschleunigen: „Wir werden aktive Anwerbung von qualifiziertem Personal aus dem Ausland brauchen.“ Auch auf die Gefahr hin, dass das in anderen Ländern einen brain drain auslöst.

Es ist noch gar nicht lange her, da bewertete Rauch seine Erfolgschancen in einem ZIB 2-Interview so: „Die Wahrscheinlichkeit, zu scheitern, ist auch bei mir hoch.“

Bleiben Sie gesund!

Jakob Winter

Jakob Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.