SPÖ-Chef Andreas Babler am Donnerstag, 13. Februar 2025, vor einem Gespräch mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen in der Präsidentschaftskanzlei in Wien nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP.
Morgenpost

Deadline für die GroKo kommt

ÖVP und SPÖ versuchen sich zusammenzuraufen. Wo es klappen könnte und wo es noch hakt.

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Gestern war Sonntag, der Tag des Herren (oder so) und traditionell will man da in Österreich seine Ruhe. Das sehen übrigens auch die vielen Politiker so, die ich gestern versucht habe zu erreichen. Ich sehe, sie sind online, aber fast niemand hebt das Telefon ab. Jetzt könnte ich beleidigt sein, bin ich aber nicht, denn das ist ein gutes Zeichen: Es wird gearbeitet. Hinter den Kulissen laufen zwischen Schwarz und Rot vertrauliche Verhandlungen auf höchster Ebene. Und ausnahmsweise findet sich kaum jemand, der das nützt, um querzuschießen oder zu leaken. Der Grund: Allen ist der Ernst der Lage bewusst. Wenn man jetzt – bei Verhandlungsversuch drei – nichts hinbringt, ist es einfach nur mehr peinlich. Außerdem gibt es eine natürliche Deadline, den 26. Februar. Da ist die nächste Nationalratssitzung und die wird sowieso nicht lustig.  

Blick in den vermeintlichen Verhandlungssaal für die Koalitionsgespräche im Parlament in Wien; aufgenommen am Montag, 10. Februar 2025
Blau-schwarze Verhandlungsprotokolle

Was sie mit uns vorhatten

Von Gernot Bauer, Iris Bonavida, Nina Brnada, Stefan Melichar, Max Miller, Clemens Neuhold, Eva Sager, Alwin Schönberger, Anna Thalhammer und Kevin Yang

Bis dahin müssen Schwarz und Rot wissen, ob sie gemeinsam regieren werden – sonst bringt die FPÖ wohl einen Neuwahlantrag ein, der je nachdem durchgehen könnte. Und neu wählen wollen weder die Volkspartei noch die Sozialdemokraten, beide aus unterschiedlichen Gründen. Die ÖVP hat gerade zwei erfolglose Verhandlungsrunden hinter sich und ist, ich sage es jetzt mal so, komplett fertig. Die SPÖ ist gespalten – nicht wenige wollen SPÖ-Chef Andreas Babler loswerden. Sollte er es schaffen, Vizekanzler zu werden, wäre das gut für ihn. Und abgesehen von parteipolitischer Taktik: Man hat in den letzten Wochen tatsächlich gelernt und anschaulich mitbekommen, was eine Regierung mit der FPÖ bedeuten würde – Orbán lässt grüßen.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat sich in den vergangenen Tagen mit Worten zurückgehalten, aber das, was er gesagt hat, hat gesessen. Er hat darüber gesprochen, wie wichtig der Kompromiss in der Politik ist. Und dass wir in einer polarisierten, immer hysterischer werdenden Welt verlernt haben, diesen zu suchen und zu finden. Ja mehr noch: Die Meinung eines anderen überhaupt zu respektieren. Er hat mit vielem Recht. Dass man sich jetzt hinter die Kulissen zurückzieht, ist aber ein erster Schritt von Vertraulichkeit. Und dass ich mich dieses Mal so schwergetan habe, etwas herauszubekommen, ein Beweis dafür. 

Ein bisschen was konnte ich dann aber doch erfahren: Zwischen den Parteichefs von ÖVP und SPÖ gibt es nun Gespräche auf höchster Ebene und man kommt sich näher. Beiden ist klar, wenn das funktionieren soll, muss es rasch gehen. Die Frustrationstoleranz der Gesellschaft ist mehr als erschöpft, es braucht einen raschen Fahrplan. Diesen hat man versucht dieses Wochenende aufzusetzen. Klar ist: Nächste Woche wird‘s knackig. 

Grundlage dieser neuerlichen, großkoalitionären Verhandlungen ist das Papier, das die ÖVP mit SPÖ und Neos schon einmal erarbeitet hat – damals noch unter dem ehemaligen Bundeskanzler Karl Nehammer. Da gibt es allerdings noch etliche rote Punkte, die sich vor allem um zwei Themen drehen. Erstens: Das Budget, es klafft ein riesiges Loch. Bei der Herangehensweise, wie man jenes stopfen möchte, liegen die Parteien ideologisch weit auseinander. Die ÖVP ging es in den vergangenen Verhandlungen eher ausgabenseitig an, die SPÖ wollte einen Beitrag der „Reichen“. Mittlerweile hat sich das beidseitig etwas aufgeweicht; dass der ÖVP-Landeshauptmann Markus Wallner nun trompetet, dass eine Bankenabgabe für ihn denkbar wäre, zeigt in welche Richtung es geht. 

Die Banken hatten zuletzt selbst einen Vorstoß gemacht. Dort hat man ein veritables Interesse, die Wirtschaft anzukurbeln. Anstatt von einer Abgabe spricht man hier von Förderung der Wirtschaft oder des Wohnbaus in Form von billigeren Krediten. Die SPÖ wollte ursprünglich eine Abgabe von mehr als eine Milliarde pro Jahr (was tatsächlich absurd ist, wenn man in die Details geht) – aber hier wird man sich wohl auf etwas einigen können, das für die ÖVP verträglich und die SPÖ gut verkaufbar ist. 

Es wird nicht die einzige Maßnahme sein, die es braucht. Denn Brüssel sitzt Österreich im Nacken. Wenn die entsprechenden Beschlüsse nicht rechtzeitig gefasst werden, kommt das aufoktroyierte Defizitverfahren. Und das will niemand. 

Zweitens: Das große Thema Migration und Asyl. Die ÖVP will hier harte Maßnahmen, weil man der tiefen Überzeugung ist, nur so der FPÖ begegnen zu können – nach dem Messermordattentat in Villach hat man hier auch Aufwind. Die SPÖ hat hier (vor allem in der Person Babler) einen wunden Punkt, wobei man sagen muss, auch hier hat man sich in den vergangenen Verhandlungen durchaus weit bewegt. Die SPÖ hätte sogar einem Kopftuchverbot an Schulen zugestimmt. Aus SPÖ-Sicht eigentlich unglaublich, oder? 

Spannend wird abseits davon natürlich auch die Frage der Ressortverteilung. 

FPÖ-Chef Herbert Kickl macht derweil wieder das, was er am besten kann: Laute, populistische Oppositionspolitik. Er tut nun so, als wäre es in den Verhandlungen mit der ÖVP nur um Postenschacherei gegangen (als Beleg verwendet er eine von der Tageszeitung „Standard“ publizierte Liste, die aber schlicht falsch ist, man kann es auch gerne mit FPÖ-Aussendungen vergleichen). So einfach ist es wirklich nicht. Es ging um Gestaltungsspielraum in den einzelnen Bereichen, in welche Richtung man das Land führen möchte. Darum war das Innenministerium in den blau-schwarzen Verhandlungen auch so umkämpft – und nicht, weil Person XY das so unbedingt wollte. 

Überhaupt ergeht man sich in der FPÖ derzeit wieder in Verschwörungstheorien. Dass die ÖVP einem Deal nicht zustimmen durfte, wegen Brüssel-Westküste-USA-weiß-man‘s. Das ist freilich kompletter Humbug, die Geschichtsschreibung gibt das nicht her. Kickl erzählt es seinen Fans dennoch – und sie glauben es.

Das ganze Regierungsbildungsdesaster mit der FPÖ ist erst wenige Tage her. Was am Ende davon übrig bleibt und wie das alles aufgenommen wird, werden die nächsten Tage und Wochen zeigen. Eine erste Umfrage publizierte am Sonntag allerdings die Kronenzeitung. Nicht überraschend: Die ÖVP büßte etwas ein, die SPÖ legte zu. Aber auch die FPÖ kommt an ihre Spitzenwerte nicht mehr heran – das hat die Partei nicht erwartet. Man glaubte selbstbewusst, an der 40-Prozent-Marke zu kratzen, nur das ist in weiter Ferne. 

Man soll Umfragen ja nicht alles glauben. Journalisten auch nicht. Bilden Sie sich bitte Ihre eigene Meinung, abonnieren, lesen und kritisieren Sie uns. Ich werde heute wieder hartnäckig versuchen zu telefonieren. Was ich herausbekommen habe, lesen Sie morgen!

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.