Morgenpost

Wie Donald Trump die Wahl gewonnen hat

Neben Migration und Inflation hat ein drittes Thema Trump zum Sieg verholfen: Identitätspolitik, allen voran die Debatte über Rechte von Trans-Personen.

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In der Woche seit dem Sieg Donald Trumps bei den Präsidentschaftswahlen in den USA haben sich nicht nur die geschlagenen Demokraten gefragt, wie das geschehen konnte. Trumps strafrechtliche Verurteilung, die zahlreichen Klagen, unter anderem wegen seiner Rolle beim Sturm aufs Kapitol am 6. Jänner 2021, die zwei Amtsenthebungsverfahren und die Tatsache, dass er seine Niederlange beim Rennen gegen Joe Biden bis zuletzt nicht anerkannt hat, all das scheint seine Wählerinnen und Wähler nicht gestört zu haben, im Gegenteil. 

Trump hat nicht nur 312 Wahlmännerstimmen gewonnen (die meisten seit Barack Obamas Sieg gegen Mitt Romney 2012), indem er traditionell „blaue“ Bundesstaaten holte, sondern auch das erste Mal seit 20 Jahren die „popular vote“ für sich entschieden, also die Gesamtzahl aller abgegebenen Stimmen. 

It’s the economy, stupid!

Ein Thema spielt bei der Erklärung für Trumps Sieg eine zentrale Rolle: Wirtschaft, allen voran die Teuerung. Zwar hat US-Präsident Joe Biden die Inflation erfolgreich bekämpft, doch die Menschen spüren davon wenig. In den Supermärkten sind die Preise nach wie vor hoch, und vor allem einkommensschwache Schichten sehnen sich zurück in die Jahre von Trumps erster Amtszeit, als das Leben einfacher war und die Preise niedriger.

Die Arbeiter, einst das Rückgrat der demokratischen Wählerschaft, sind scharenweise zu Trump übergelaufen. Es waren bei weitem nicht nur weiße Männer, die ihm ihre Stimme gaben, sondern auch Menschen mit hispanischen und asiatischen Wurzeln sowie Schwarze. Für viele ist es unmöglich, den Lebensstandard ihrer Eltern und Großeltern zu erreichen. Ihnen verspricht Trump die Rückkehr in längst vergangene Zeiten – besser soll es werden und einfacher, ein Wirtschaftswunder wie Mitte des 20. Jahrhunderts. Dass Amerika nicht in die 1950er zurückkehren kann, ist zweitrangig. Fakten haben bei den Wahlmotiven kaum eine Rolle gespielt. 

„Er ist für euch, sie ist für they/them!“

Bei den Demokraten herrscht seit Dienstagnacht Katerstimmung. In der vergangenen Woche war viel die Rede davon, was die Partei falsch gemacht hat: Sie hätten zu wenig gegen die hohen Zahlen illegaler Migranten unternommen und den Republikanern im Wahlkampf bei dem Thema zu wenig entgegengesetzt.

Neben Migration und Teuerung hatte Trump im Wahlkampf ein drittes Standbein: Die Rechte von LGBTQ, besonders von Transpersonen. 

Transrechte spielen schon lange eine überproportional große Rolle in der politischen Debatte, und im US-Wahlkampf nutzen die Republikaner das Thema dazu, die Demokraten als durchgeknallte Vertreter einer ausufernden „Wokeness“ (politischen Korrektheit) zu porträtieren. 

Geholfen hat ihnen ein Interview mit Harris aus dem Jahr 2019, in dem sie ihre Unterstützung für geschlechtsangleichende Operationen für Häftlinge sowie für inhaftierte illegale Migranten äußert. Für die Republikaner waren diese Sätze Gold wert. In besonders umkämpften Bundesstaaten investierten sie Dutzende Millionen in Fernsehwerbung, die besonders umstrittene Aspekte von Transrechten thematisierten: Transfrauen im Frauensport, Transfrauen in der Umkleidekabine, geschlechtsangleichende Maßnahmen für Teenager, darunter Pubertätsblocker und Brustamputationen. 

Die Clips stellten Harris‘ Sätze aus dem Interview von 2019 der vermeintlichen Volksnähe Donald Trumps gegenüber: „Die verrückte Linke Harris ist für they/them. Donald Trump ist für euch!“

Der Zorn der Mütter

Mit diesen Werbeschaltungen erreichten die Republikaner eine Gruppe, die traditionell eher demokratisch wählt: Frauen mit Collegeabschluss. „Das ist doch einfach falsch“, sagt eine Frau in einem der Clips, und eine andere: „Der Mädchensport steht unter Beschuss“. 

Geholfen haben den Republikanern die Siege von Transfrauen im Frauen-Spitzensport der vergangenen Jahre. „Woke Politik hat dafür gesorgt, dass ich gegen einen Mann antreten musste“, sagt etwa die Schwimmerin Riley Gaines, die gegen die Transfrau Lia Thomas unterlegen war. 

Den Republikanern ist es gelungen, Einzelfälle besonders plakativ hervorzuheben.

Und die Demokraten? Sie schweigen zu dem Thema. Auf Nachfrage wollte sich Harris im Wahlkampf nicht mehr über Transrechte äußern. Der Zorn der Mütter blieb. Und die Zustimmung zu Trump unter Frauen wuchs. 

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.