Nach Teilschließung wegen Brandschutzmängel: AUVA überprüft alle Einrichtungen
Mitte Oktober bekamen elf ehemalige Mitglieder des Verwaltungsrats der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) einen Brief von der MA64 für Bau-, Energie-, Eisenbahn- und Luftfahrtrecht. Sie sollen Verwaltungsstrafen in der Höhe von 76.450 Euro bezahlen. Pro Person. Die AUVA bereitet derzeit Bescheidbeschwerden vor, ein Rechtsstreit mit der Stadt Wien scheint unausweichlich. Hintergrund sind die Brandschutzmängel, die im Vorjahr zur großflächigen Schließung des Traumazentrum Wien-Brigittenau, ehemals Lorenz-Böhler-Spital, geführt haben. Ein Gutachter hatte zuvor festgestellt: Würde das Gebäude in Vollbrand stehen, würde es den Flammen keine 30 Minuten standhalten und zusammenfallen – dabei müsste es rechtlich zumindest 90 Minuten bestehen. Doch wie konnte es so weit kommen, dass elf Verwaltungsratsmitglieder nun privat haften sollen?
Alles begann mit Umbauplänen im Gebäudekomplex in Wien-Brigittenau. Denn immer dann, wenn um- oder ausgebaut werden soll, hat auch eine Überprüfung des Brandschutzes zu erfolgen. Und ab hier widersprechen sich die Stadt Wien und die AUVA.
Bei einer Besprechung in der Baudirektion der Stadt Wien am 30. Juni 2023 sei erstmals bekannt geworden, dass der Brandschutz im Spital offenbar nicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Vertreter der AUVA, der Baupolizei (MA 37) und der Baudirektion diskutierten im Sommer 2023 die geplante Sanierung und Umgestaltung des Gebäudes – und stießen auf ein Problem: Die Trapezblechdecke des Stahlskelettbaus wies lediglich eine Brandwiderstandsdauer von 30 Minuten (F30) auf. Zum damaligen Zeitpunkt bestand aber ein F90-Standard, also 90 Minuten Brandwiderstand. Aus Sicht der MA 37 deutete Ende Juni 2023 somit alles auf baurechtliche Mängel hin.
Eine Woche später erließ die Baupolizei einen Bauauftrag an die AUVA: Die brandschutztechnische Situation des Spitals sei zu erheben und ein Sicherungs- und Sanierungskonzept vorzulegen. „Seitens der AUVA wurden daraufhin unverzüglich umfassende Maßnahmen gesetzt: Erstellung von Fluchtkonzepten, Einrichtung einer Betriebsfeuerwehr, Reduktion von Brandlasten sowie Planung und Umsetzung von Neu- bzw. Umbauprojekten, sowie die Kapazitätserhöhung an unserem Standort Meidling“, schreibt ein Sprecher der AUVA auf profil-Nachfrage. Die Stadt Wien widerspricht: Die Aufstellung einer Betriebsfeuerwehr zur Sicherung der Räumung des Krankenhauses und zum provisorischen Ambulanzbetrieb sei nur zögerlich organisiert worden. „Die erforderlichen Ausbildungskurse für unterschiedliche Funktionen der Betriebsfeuerwehr wurden erst nach Aufforderungen gebucht“, heißt es aus dem Büro der Wiener Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál (SPÖ).
Vernichtendes Gutachten
In den Folgewochen und -monaten musste die Baupolizei mehrfach nachhaken, da immer wieder Unterlagen fehlten.
Zwischen Sommer 2023 und Frühjahr 2024 eskalierte die Situation. Die AUVA legte fünf Sicherheitskonzepte vor, die laut Baupolizei allesamt nicht geeignet waren, die Gefahr der verringerten Evakuierungszeit zu beseitigen. Erst im Frühjahr 2024 – und somit ein knappes Jahr nach Auftrag – legte die AUVA den angeordneten Bericht zum Brandschutz vor. Und der fiel vernichtend aus. Bei einem Vollbrand würde das Gebäude nicht einmal eine Räumungsdauer von 30 Minuten zulassen. Weil eine Sanierung im laufenden Betrieb nicht möglich war, wurde die Teilschließung des Krankenhauses unausweichlich.
Verwaltungsstrafen für Verwaltungsrat
„Die MA 37 ordnete daraufhin für die Dauer der Evakuierung als Sofortmaßnahme von der MA 68 einen vor Ort befindlichen Brandsicherheitswachdienst (bestehend aus einem Löschfahrzeug und einer sechsköpfigen Besatzung) an und erstattete Anzeige an die MA 64“, erklärt ein Sprecher der Wohnbaustadträtin. Die MA 64 ist in Wien für die Grundstücksbebauung zuständig und führt Verwaltungsstrafverfahren nach der Wiener Bauordnung durch. In diesem Fall richteten sich die Verfahren gegen die damals zwölf beziehungsweise elf (eine Person ist in der Zwischenzeit verstorben) Verwaltungsratsmitglieder. Ihnen wurden Strafbescheide im fünfstelligen Eurobereich für potenzielles Fehlverhalten im Rahmen ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit, für die sie nur einige Euro Sitzungsgeld kassieren, zugestellt.
Das Problem dabei: Das AUVA-Traumazentrum hat keinen Geschäftsführer, vielmehr teilt sich diese Verantwortung ein zwölfköpfiges Gremium aus je sechs Vertretern von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite. Gemeinsam segnen sie etwa Spracherkennungslizenzen für das Krankenhausinformationssystem der AUVA ab, sie genehmigen die jährliche Versicherungsprämie für die Haftpflichtversicherung und sie sind es auch, die die Übergangslösung für das Traumazentrum Wien-Brigittenau infolge der Teilräumung abgesegnet haben.
AUVA bekämpft Strafen
Doch warum stellt die Stadt Wien diesen Ratsmitgliedern Strafbescheide aus und nicht etwa dem AUVA-Generaldirektor oder der AUVA als Institution? Hinter den Kulissen argumentiert man, dass sämtliche Entscheidungen rund um das Böhler-Spital in diesem Gremium einstimmig getroffen wurden – und somit hätte jede einzelne Person die Möglichkeit gehabt, das Fiasko zu verhindern. Die Stadt Wien beteuert, dass das Verwaltungsrecht nach der Anzeige an die MA 64 genau diesen Weg vorsehe. Die AUVA bestreitet das. Der Verstoß gegen eine behördliche Auflage von der MA 37 hätte nicht angezeigt werden müssen. Stattdessen habe man bewusst in Kauf genommen, jene (nun ehemaligen – die Amtsperiode 2020 bis 2025 endete im Frühjahr) Verwaltungsratsmitglieder einem Verwaltungsstrafverfahren auszusetzen. „Beispielsweise hätte ein Verstoß durch eine Aufforderung zur Behebung beseitigt werden können“, heißt es vonseiten der AUVA. Offensichtlich fehlte den Verantwortlichen dafür aber die Geduld, schließlich bemängelte man das zögerliche Vorgehen seit Bekanntwerden der Brandschutzprobleme.
Die Strafbescheide sind nicht rechtskräftig, die AUVA bereitet aktuell eine Bescheidbeschwerde vor. Und: „Die AUVA behält sich die Prüfung weiterer rechtlicher Schritte vor“, heißt es auf profil-Nachfrage.
Dieser rechtliche Konflikt ist aber nicht das einzige Problem der AUVA. Hinter den Kulissen befürchten mit der Causa Betraute, dass es auch in anderen AUVA-Gesundheitseinrichtungen Mängel beim Brandschutz geben könnte. Eine entsprechende externe Überprüfung der Häuser findet derzeit statt. Ergebnisse soll es noch heuer geben. Je nach Ausgang könnte das der Debatte rund um Spitalsschließungen neuen Stoff liefern.