Nächste Gaskrise ante portas?
Auf den heutigen Tag genau vor 25 Jahren begann der große politische Aufstieg des Wladimir Putin. Am 9. August 1999 ernannte der damalige russische Präsident Boris Jelzin mit dem Leiter des Inlandsgeheimdienstes seinen Wunschkandidaten zum Ministerpräsidenten.
Ja, es war verdammt viel los diese Woche: Großbritannien wurde und wird von heftigen Unruhen erschüttert, in Bangladesch kam es zum Sturz der Regierung, in den USA präsentierte Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris ihren Vize Tim Walz. Und das kleine Österreich schaffte es wieder einmal in die internationalen Schlagzeilen: Die drei Konzerte von Taylor Swift im Wiener Ernst-Happel-Stadion mussten wegen Anschlagsplänen abgesagt werden. Warum also diese ein Vierteljahrhundert alte Begebenheit vor den Vorhang zerren?
Keine Sorge, umfangreiche Berichterstattung rund um den amerikanischen Superstar Swift und die Terrorgefahr in Österreich finden Sie in der morgen erscheinenden Printausgabe. Heute möchte ich Ihre Aufmerksamkeit aber wieder einmal auf ein uns schon länger beschäftigendes Thema lenken: Den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und die damit verbundenen Auswirkungen auf die europäische Gasversorgung. Beides hängt, wenn man so will, ursächlich mit Jelzins Handlung von vor 25 Jahren zusammen. Denn sonst wäre Putin wohl kaum in die Lage versetzt worden, für geopolitische Turbulenzen zu sorgen.
Am vergangenen Dienstag stieß die ukrainische Armee in das russische Gebiet Kursk vor. Dort befindet sich in der 6000-Einwohner-Stadt Sudža der letzte funktionierende Umschlagplatz für russische Gasexporte. Der Transit führt durch die Ukraine und weiter in die Slowakei und nach Österreich. 2023 wurden auf diesem Weg trotz des laufenden Krieges 14,6 Milliarden Kubikmeter Erdgas in die Europäische Union transportiert.
Ukrainische Truppen sollen zumindest Teile der Stadt und damit auch eine wichtige Messstation für die Gaspipeline unter ihre Gewalt gebracht haben. Verifizieren lassen sich diese Meldungen derzeit nicht. Die Börsen reagieren freilich dennoch höchst sensibel auf solche Nachrichten. So stiegen die europäischen Gaspreise mit 38,45 Euro pro Megawattstunde auf den höchsten Stand seit Dezember.
„Die ukrainische Militäroperation in der russischen oblast' Kursk birgt die Gefahr einer Unterbrechung des Gastransits von Russland nach Zentraleuropa - dann nämlich, wenn der letzte Einspeisepunkt für russisches Gas in Sudža durch die Kampfhandlungen beeinträchtigt oder gar zerstört werden könnte“, erklärte Russland-Experte Gerhard Mangott via „X“ (vormals Twitter).
Noch liegen die Durchflussmengen im normalen Bereich. Gestern wurden laut dem staatlichen Energiekonzern Gazprom rund 37 Millionen Kubikmeter Erdgas durchgeleitet. Um fünf Prozent weniger als tags zuvor.
Auch wenn Europa bereits enorme Anstrengungen unternommen hat, um von russischem Gas loszukommen – die Abhängigkeit, besonders in Österreich, ist hoch. Eine mögliche Unterbrechung der Lieferungen wäre ein Schock, der die Preise für Verbraucher und Industrie wieder in die Höhe treiben würde.
Erst vergangenen Woche hatte sich die türkis-grüne Regierung darauf geeinigt, bis 2027 aus russischen Gaslieferungen auszusteigen. Eine Strategie, wie das geschehen soll, muss allerdings erst erarbeitet werden. Könnte also gut sein, dass diese Entscheidung von der Realität überholt wird.
Warum hierzulande hinsichtlich Russlands gar so zögerlich agiert wird, damit beschäftigt sich auch die dritte Staffel unseres Investigativ-Podcasts „Nicht zu fassen“. Rechtzeitig zu Putins Politjubiläum erscheint am kommenden Montag die zweite von neun Folgen, die sich allesamt mit dem russischen Machthaber und seinem Naheverhältnis zu Österreich beschäftigen. Hören Sie rein!