Johann Strauss Sohn wurde in Wien hysterisch verehrt.
Morgenpost

Skandale, Zoff und Genies im Walzerfieber: Die Strauss-Dynastie

Auftakt mit dem Neujahrskonzert. Denn 2025 steht ganz im Zeichen von Straussmania. Doch hinter der so lieblichen Bling-Bling-Fassade der Walzerdynastie Strauss, angeführt von Johann Vater und Sohn, verbergen sich auch jede Menge Skandale.

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Nahezu stolz für soviel Innovationscourage wird auf den Philharmoniker-Websites vermerkt, dass heuer erstmals beim Neujahrskonzert das Werk einer Frau zur Aufführung kommt.  Wahnsinn, eine Frau, echt jetzt!? Das Argument, dass nur wenige komponierende Frauen aus dieser Periode es geschafft haben, die Musikhistorie auch zu überdauern, gilt nicht. Tut leid.

Das Bürgertum begann sich zu emanzipieren und damit auch, zumindest sachte, die Selbstbestimmung der Frauen. Es bedarf natürlich auch dem Willen, Verschwundene wieder sichtbar zu machen. Und Wien war Mitte des 19. Jahrhunderts ein unerschöpflicher Spielplatz für die von Krieg und Elend ausgehungerte Bevölkerung, die sich vor allem danach sehnte zu vergessen. „Glücklich ist, wer vergisst”heißt es in der Fledermaus. Und Metternich und sein Spitzelheer wussten auch, dass Ablenkungsmanöver in Form von Lustbarkeiten die sicherste Methode ist, um das Volk von revolutionärem Unsinn fern zu halten.  

Nachdem, so raunen in den Wiener  Kaffeehäusern Mitverhandler, bis Mitte Jänner mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit keiner Regierungsbildung zu rechnen ist, können wir uns also am heutigen Tag chillaxed der leichten Muse zuwenden: Wer war also die kleine Unbekannte?

Constanze Geiger heißt die posthum Geedelte, deren Ferdinandus-Walzer unter dem Dirigat von Ricardo Muti am Neujahrstag ein möglicherweise verkatertes Millionenpublikum beschwingen soll. Viel ist von der Dame nicht bekannt: Aufgewachsen in relativ bescheidenen Verhältnissen wurde die Tochter eines Klavierlehrers sowie Komponisten und einer Modistin von ihren ehrgeizigen Eltern zu einer Art Wunderkind hochgepeitscht. Ihre Karriere als Pianistin, Schauspielerin und Komponistin wurde durch Mutterschaft und darauf flogender Heirat (modern: sie machte es umgekehrt) zu einem kreativen Rinnsal.

Die Story dahinter hat Rührungspotenzial und bringt wieder die „Sträusse”, tatsächlich die unverrückbaren Protagonisten des Megaevents, auf den Plan. Denn Constanze lebte in „wilder Beziehung” mit dem österreichischen Prinzen Leopold von Sachsen-Coburg und Gotha; aus standesgemäßen Grunden durfte nicht geheiratet werden. Als der Beziehung ein Sohn entsprang, sprang Johann Strauss Sohn galant in die Bresche, in dem er seinen „Grillenbanner“-Walzer dem Prinzen widmete. Durch diese öffentlich gemachte Unterstützung des Paars, bekamen die beiden dann doch von der arroganten Aristo-Sippe den Sanktus, heiraten zu dürfen. Und Schluss war es mit dem künstlerischem Schaffen der Plötzlich-Prinzessin Constanze. 

Nach der Lektüre vieler Strauss-Biografien zeigt sich die Dynastie hinter den Kulissen genialischem Schaffens als nicht ganz so lieblich-charmant wie sie auf den meisten Stichen dargestellt wird. Johann Strauss Vater unterhielt eine Parallelfamilie mit einer Modistin (und zeugte mit ihr acht Kinder) und sein später weltberühmter legitimer  Sohn Johann (der älteste von sechs offiziellen Nachkommen) bekam ihn nur wenig zu Gesicht. Die betrogene Gattin Anna rächte sich mit einem wilden Rosenkrieg. Als der erstgeborene Sohn Johann seine „Nervendämonie” (so Richard Wagner nach dem Besuch eines Strauss-Konzerts)  künstlerisch zu entfalten bekam, setzte der Vater alles daran, ihm mit epresserischen Methoden die Auftrittslokale abspenstig zu machen. Die Geschichte der Walzer-Dynastie ist reich an Skandalen, Zwistigkeiten, mafiösen Methoden, um die Alleinherrschaft am Pult zu halten, und Rivalitäten unter den Brüdern Johann, Josef und Eduard. Ungelöst das Rätsel, warum acht Jahre nach dem Tod von Johann Strauss Sohn sein Bruder Eduard Wagenladungen von Partituren und Kompositionsblättern aller Strauss-Kapellen in einer Tonofenfabrik verbrennen ließ. 

Ein Glück, dass Johann Strauss Sohn es trotz gesundheitlichem Raubbau doch zu 73 Jahren gebracht hatte (sein Vater starb mit 45), die von manischem Schaffensdrang geprägt waren. Einen der Walzer, die heute vorgetragen werden, die „Accelarationen”, fetzte er, stets unter extremen Zeitdruck, der Legende nach auf ein Tischtuch, und am Abend des selben Tags kam er bereits zur Uraufführung. 

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Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort