Nur keine Nachrichten!
Fake news, postfaktisch und Desinformation waren gestern. Die jüngste mediale Beunruhigung heißt news avoidance - Nachrichtenvermeidung. Die Zahl jener, die sich bewusst gegen den Konsum von Nachrichten entscheiden, steigt kontinuierlich. Laut dem kürzlich erschienenen „Reuters Institute Digital News Report” 2024 steigt die selektive News-Avioidance. Vier von zehn Menschen, also 39 Prozent, sagen, dass sie manchmal oder öfters Nachrichten meiden. Dieser Wert ist im Vergleich zum Vorjahr um zwei Prozentpunkte gestiegen. Das passt in den Langzeittrend: Im Jahr 2017 hatten sich erst 29 Prozent von Nachrichten abgewandt.
Als Gründe für diese mediale Abkehr vom Weltgeschehen nennt der Report „die unüberwindbaren Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten“. Sich täglich ähnelnde düstere Meldungen mit kaum Perspektive auf ein baldiges positives Ende tragen demnach dazu bei, dass Menschen sich vom Nachrichtenfluss abnabeln. Das Wissen um die Weltlage vertiefen viele dieser Meldungen meist kaum, auf das Gemüt der User:innen schlagen sie sich dennoch.
Doch die anhaltende Polykrise mit ihrer vorwiegend negativen Nachrichtenlage ist nur einer der Gründe. Journalismus hat ein nach wie vor wachsendes Vertrauensproblem. Nur noch ein Drittel der Befragten in Österreich gab an, Nachrichten im Allgemeinen zu vertrauen. Das ist deutlich unter dem globalen Schnitt (40,2 Prozent) und weit unter europäischen Spitzenreitern wie etwa Finnland mit 69 Prozent.
Auch digitaler Journalismus kämpft
Nachrichtenmüdigkeit in Krisenzeiten, Vertrauenskrise in den Journalismus und ein immer dichteres Netz an Kanälen und Meldungen – diese Kombination bringt immer mehr Menschen dazu, sich medial aus dem Weltgeschehen auszuklinken. Das zeigt sich auch an den Zahlen: In vielen der von Reuters untersuchten Länder sinkt der Medienkonsum generell. In Österreich ist der Sinkflug von Print und linearem TV zwar am deutlichsten, aber auch der Konsum von Nachrichten online und über Soziale Medien ist rückläufig. Das Match heißt also längst nicht mehr Print gegen Digital. Das Match heißt Nachrichten gegen – gar keine Nachrichten.
Dass diese Abkehr von Qualitätsjournalismus Medienhäuser und ihre Finanzierungsmodelle über Abos und Werbung in Bedrängnis bringt, beschäftigt die Branche bereits seit einigen Jahren. Langfristig hat diese Entwicklung auch Auswirkungen auf die Qualität demokratischer Prozesse und Entscheidungen.
Es regiert, befeuert durch Desinformation oder das Nonsens-Spektakel des Moments, eine Art Kult der Kurzfristigkeit, es fehlt die lange Linie des Denkens und der Konzeptbildung. Doch genau die bräuchte es im Umgang mit den Krisen der Gegenwart.
Demokratie stützt sich darauf, dass informierte Bürger:innen tragfähige Entscheidungen treffen. Sinkt das Vertrauen in Journalismus, informieren sich Menschen jenseits etablierter Medien. Nimmt die Qualität dieser Informationsquellen ab, so schadet das auch der Demokratie. Nicht nur, weil potenzielle Wähler:innen schlechter informiert sind. In einer medial zersplitterten Öffentlichkeit gibt es keinen Raum mehr für öffentliche Debatten. Auch das schwächt demokratische Prozesse. Schließlich sind Menschen in digitalen Echokammern anfälliger für populistische Einflüsse.
Kult der Kurzfristigkeit
Diese Phänomene sind bekannt. Was Expert:innen aktuell besorgt, ist die steigende Zahl jener, die sich von Nachrichten abwenden. Der deutsche Medienwissenschafter Bernhard Pörksen befürchtet etwa, „dass demokratische Gesellschaften ihre Strategiefähigkeit verlieren“. Es regiert dann, so Pörksen, „befeuert durch Desinformation oder das Nonsens-Spektakel des Moments, eine Art Kult der Kurzfristigkeit, es fehlt die lange Linie des Denkens und der Konzeptbildung. Doch genau die bräuchte es im Umgang mit den Krisen der Gegenwart“.
Medienhäuser weltweit haben damit begonnen, hier gegenzusteuern. Vor allem indem sie versuchen, das Vertrauen ihrer User:innen wiederzugewinnen. Konstruktiver Journalismus und User-zentrierte Konzepte sind die zentralen Strategien, um das Band zwischen Medien und Gesellschaft neu zu knüpfen. Es bleibt abzuwarten, ob und wann sich diese Bemühungen in den messbaren Nutzerzahlen niederschlagen. Für die Demokratie wären das gute Nachrichten.