Österreich gegen Schengen-Erweiterung: Rumänien hätte es verdient
In Stunden und Kilometern misst sich die Wartezeit an der rumänisch-ungarischen Grenze. Die LKW-Schlangen strecken sich kilometerweit bis in die nächsten rumänischen Dörfer. Auf den Hauptstraßen werfen die LKWs Schatten auf die niedrig gebauten Häuser mit Backsteinfassade. Wenn Zeit tatsächlich Geld ist, dann haben die Transportfirmen ein Problem. Ein Ende des Wartens ist nicht in Sicht.
Gestern, am 8. Dezember, stimmte EU-Innenminister über die Schengen-Erweiterung ab, welche auch die unvorhersehbaren Grenzwartezeiten verkürzt hätte. Nach langen Verhandlungen stellte sich Österreich jedoch dagegen – als einziges EU-Land neben den Niederlanden. Rumänien wartet seit 15 Jahren auf Einlass in den Schengenraum. Österreichs „Nein“ wirkt dabei wie eine Ohrfeige aus dem Nichts. Man hätte gehofft, endlich ein gleichrangiges EU-Mitglied sein zu dürfen.
Das Echo von Österreichs „Nein“
„Ich werde heute gegen die Schengen-Erweiterung um Rumänien und Bulgarien stimmen“, sagte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) am Donnerstag im Vorfeld des Treffens in Brüssel. „Es ist falsch, dass ein System, das an vielen Stellen nicht funktioniert, an dieser Stelle auch noch vergrößert wird.“ Es habe heuer mehr als 100.000 illegale Grenzübertritte nach Österreich gegeben, davon seien 75.000 nicht registriert gewesen, so der Innenminister.
Auch Karl Nehammer sieht die Erweiterung „unter diesen Umständen nicht möglich“, so der Kanzler am Dienstag auf dem Westbalkan-Gipfel in Tirana. Diese Situation sei einer gescheiterten EU-Asylpolitik geschuldet, der Schengenraum funktioniere in dieser Form nicht.
Lastwagen stehen Schlange
Seit mehr als zehn Jahren warten Rumänien und Bulgarien an den Toren des Schengen-Raums.
In Rumänien sorgt die Blockade des Schengen-Beitritts des Landes durch Österreich für immense Verärgerung, zumal sich die Argumente der österreichischen Seite nicht mit den Daten der EU-Grenzschutzagentur Frontex decken. Das Land befindet sich nämlich nicht auf der Balkanroute.
Migrationsexpertin Judith Kohlenberger schreibt am Donnerstag auf Twitter, dass nur 3 Prozent der Asylwerbenden den (Um-)Weg über Rumänien nahmen. Österreichs Position sei „irrational und heuchlerisch“, das Land würde sich durch sein Veto europäisch isolieren, „und das offenkundig nur, um die Migrationskarte zu spielen.“
„Der Grund für Österreichs Ablehnung ist der politische Kontext“, sagt EU-Abgeordneter Victor Negrescu in einem TV-Beitrag am Montag. Die Regierungspartei habe an Rückhalt in der Bevölkerung verloren, und würde angesichts der bevorstehenden Wahlen glauben, „dass dieses Thema für sie von Vorteil sein wird.“
Gleichzeitig hält Negrescu fest: „Es wird kompliziert für sie [Anm. Österreich], wenn die anderen [EU-]Staaten einverstanden sind.“ Anton Pisaroglu geht gar weiter: „Die Ablehnung des Schengen-Antrags Rumäniens schwächt die EU“, schreibt der Politikexperte in „Politico“.
Man müsse Lösungen für die migrationspolitischen Herausforderungen finden, „aber die Lösung kann nicht sein, Millionen von Europäern, den gleichberechtigten Zugang zur EU zu verweigern”, plädiert Dominic Fritz, Bürgermeister Timisoaras am Mittwoch in der „ZiB-Nacht“.
Rumänien erfüllt die Schengen-Anforderungen bereits seit 2011. Kein anderes Land, das die Kriterien erfüllte, wurde bisher so lange ausgeschlossen.
Als Protest gegen die Entscheidung Österreichs bestellte Rumäniens Außenminister Bogdan Aurescu am Donnerstagabend die österreichische Botschafterin in Bukarest, Adelheid Folie, ein.
Drohen Österreich Klagen?
Einige Politiker drohen bereits mit Konsequenzen. So stellte der Chef der außerparlamentarischen konservativen Kleinpartei PMP, Eugen Tomac, jüngst eine Klage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union in Aussicht - mit einem derartigen Veto würde Österreich nämlich Rumänien diskriminieren. Man habe schon einmal erfolgreich gegen Österreich geklagt, und zwar wegen der gleichfalls für diskriminierend befundenen Indexierung der Familienbeihilfe, sagte Tomac.
Pavel Popescu, Abgeordneter der liberalen Regierungspartei PNL, drohte indes, im Fall eines Schengen-Vetos Österreichs die letzten beiden Jahre seiner Amtszeit für Gesetzesvorlagen und -novellen aufwenden zu wollen, „die die österreichischen Unternehmen und Interessen (de facto russische) anvisieren”, schrieb Popescu auf Facebook. Tatsächlich profitieren österreichische Konzerne von rumänischen Ressourcen: Die OMV schöpft Erdöl aus dem Schwarzen Meer, österreichische Holzunternehmen bedienen sich aus rumänischen Urwäldern.
Die LKW-Schlangen
Österreich hat sein Veto eingelegt. Hätte es sich noch umentschieden, wären mit 1. Jänner 2023 die systematischen Ausweiskontrollen bei der Ein- oder Ausreise gefallen.
Und die Lastwägen an der Staatsgrenze? Sie hätten sich weiterbewegt. Die Wartezeiten am Zoll wären kürzer geworden, Einnahmen aus dem Warenverkehr hätten sich erhöhen können.
Ein schönes Wochenende - und wenn Sie in den nächsten Tagen einem gekränkten Rumänen begegnen, nehmen Sie es ihm nicht zu übel.
Elena Crisan