Morgenpost

Österreich sucht die Superregierung, noch immer und schon wieder

Es liegt ein großkoalitionärer Duft in der Luft. Nur: Wo ein Wille ist, war bisher kein Weg. Es müsste sich viel ändern, damit das klappen kann. Die FPÖ mimt derweil das angebliche Opfer aller anderen.

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Würden Sie nach den letzten Tagen auch gerne das Gesicht von Ex-ÖVP-Kanzler Karl Nehammer sehen? Ich schon. Er muss sich einigermaßen vera*** fühlen. Denn all das, was er vor, im und nach dem Wahlkampf gesagt hat, ist nun eingetreten. Dass mit FPÖ-Chef Herbert Kickl kein Staat zu machen sei, dass dieser ein Sicherheitsrisiko darstelle (und das auch international so gesehen wird) und dass er nur auf sich schaue (Kickl war das größte Problem für Kickl, lesen Sie unsere nächste Coverstory dazu, sie erscheint heute, Freitagmittag, im E-Paper, morgen im Print – Abos gibt es hier).

Jetzt steht das Land tatsächlich wieder an der Stelle, wo Nehammer einst von der Bühne gegangen ist: Vor einem Verhandlungstisch, an dem die ÖVP wohl wieder mit der SPÖ Platz nehmen wird. Statt Nehammer sitzt dann Christian Stocker dort – aber wenn dies das einzige Neue ist, wird auch diese Verhandlungsrunde mit keinem Koalitionserfolg enden. Dafür müsste sich deutlich mehr ändern.

++ ARCHIVBILD ++ KOALITION: NEHAMMER ZIEHT SICH ALS KANZLER UND ÖVP-CHEF ZURÜCK

Aber gehen wir kurz einen Schritt zurück, in die Hofburg. Da ging es gestern zu wie auf einem Busbahnhof. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hatte die Parteichefs von Neos, Grünen, ÖVP und SPÖ (in dieser Reihenfolge) zu sich gebeten. Am Mittwoch waren Kickl und Stocker schon einmal bei ihm zum Rapport angetreten. Kickl hatte dort den Regierungsbildungsauftrag zurückgelegt, nachdem man eine Woche lang „verhandelt“ hatte. Eigentlich waren das aber keine Verhandlungen gewesen, sondern ein Hinknallen von Positionen. Die waren seitens Herbert Kickls radikaler und seitens der ÖVP prinzipieller Natur. Als Außenstehender war es ziemlich unschön, diesem würdelosen Machtkampf beizuwohnen. Dieser hatte aber den Nebeneffekt, dass die Öffentlichkeit in aller detaillierten Schönheit sehen konnte, wohin Kickl das Land führen würde: Richtung Ungarn. 

Dieses Schauspiel hatte wohl auch zu einem gewissen Umdenken bei den übrigen Parteien geführt. Schon bevor Kickl hinschmiss, hatten die anderen Parteien gen ÖVP die Hand ausgestreckt und sie wissen lassen, dass man die Tür wieder aufmache. Und die Volkspartei, die wohl spätestens in den Verhandlungen auf Chefebene erkannte, dass sich das mit Kickl nicht ausgeht, war dafür nicht undankbar. Die Situation war verfahren.

Verhandler stehen bereit

Mittwochabend trat der Bundespräsident auf und skizzierte vier mögliche Szenarien: 1. Der Nationalrat beschließt Neuwahlen. Die würden allerdings erst in ein paar Monaten abgehalten werden. (Das fordert auch die FPÖ, die ihre Reihen möglichst schnell wieder schließen will.) 2. Eine Minderheitsregierung unter Duldung des Parlaments. (Es stellt sich die Frage, unter wem das möglich wäre? Vermutlich unter einem ÖVP-Kanzler.) 3. Eine Expertenregierung, die von den Parteien eine gewisse Zeit im Nationalrat gestützt werden könnte. 4. Es ergibt sich doch noch eine Regierungsmehrheit.

Bleiben wir bei Möglichkeit vier: Dafür müssten ÖVP und SPÖ zusammenfinden – also da capo. Letztere würden sich eine Koalition nun doch auch wünschen. Man sei bereit, dort weiterzumachen, wo man aufgehört hatte, ließ man profil wissen. Ein Verhandlerteam habe man auch schon – dieses Mal ein kleines, feines. Diesem werden Doris Bures ebenso angehören wie Gewerkschafter Josef Muchitsch, Klubobmann Philip Kucher, Frauen-Chefin Eva-Maria Holzleitner und der Parteichef selbst, Andreas Babler. Der ist bei der ÖVP kein besonders wohlgelittener Mann, seine Positionen liegen weit links der Mitte. Übrigens auch weit links der SPÖ-Mitte und somit weit jenseits der linken Grenze der ÖVP. Außerdem habe Babler einen schwierigen Charakter, an dem die Verhandlungen letztlich gescheitert seien, heißt es in schwarzen Kreisen, aber auch bei den Neos. Jetzt ist es freilich nicht so, dass sich die ÖVP andere Parteiobleute aussuchen könnte – aber einfacher macht die Personenkonstellation die jetzige Ausgangssituation nicht. 

In den eigenen Reihen wird ordentlich an Bablers Stuhl gesägt. Ob das an ihm selbst oder an den ewigen Intrigen und Scharmützeln seiner Partei liegt, ist schwer zu sagen. Obleute abzumontieren scheint in der jüngeren Geschichte jedenfalls ein beliebter Zeitvertreib der Genossen zu sein.

Die von Verhandlungen müde ÖVP betrachtet die neue Euphorie der SPÖ mit Vorsicht. Man hatte am Donnerstag auf profil-Nachfrage jedenfalls noch kein Verhandlungsteam gebildet. Es sei zu früh, man habe keinen Regierungsbildungsauftrag, niemand habe einen Auftrag, es sei eine Frage des Respekts, den Präsidenten zu hören. 

Nun gut, das war dann am späteren Nachmittag auch erledigt. Statements von Rot und Schwarz: Babler sagte ganz klar, dass er schnell verhandeln wolle, um Mehrheiten zu finden – und dass er sich schon mit Stocker unterhalten habe. Da war er wohl nicht der erste Rote, vor allem die Sozialpartner hatten in den letzten Tagen ihre großkoalitionären Drähte glühen lassen. Freundschaft!

Die ÖVP gab anders als Babler keine Pressekonferenz, beim Rausgehen aus der Hofburg sagte Stocker wenig, betonte aber die Dringlichkeit des Fortkommens.

Auch von Van der Bellen war an diesem Tag offiziell nichts mehr zu vernehmen. Offenbar wollte er einmal über das schlafen, was er gehört hatte. 

Das System ist schuld

Herbert Kickl wittert hinter allem übrigens schon wieder die große Verschwörung – vorrangig eine schwarz-rote. Als Beleg dafür nimmt er übrigens einen meiner Artikel. Ich bin sehr verstört. Sind wir für Kickl jetzt plötzlich doch kein Systemmedium/keine Lügenpresse mehr – sondern eine hochwertige, faktenbasierte Quelle? Freut mich wirklich sehr, wenn ich auch den FPÖ-Parteichef von der Qualität von profil überzeugen konnte. 

Das System sei jedenfalls schon wieder gegen ihn und den angeblichen Volkswillen, verlautbarte er. Der Mann reitet auch immer dasselbe One-Hit-Pony. Selbstreflexion: null.

Also gut, zurück zum „System“ alias jene gewählten Volksvertreter im Parlament, die zusammen bei der vergangenen Nationalratswahl die restlichen 70 Prozent der Stimmen bekommen haben. Dort gibt es bei ÖVP und SPÖ durchaus einen Willen zusammenzufinden – und seitens der kleineren Parteien eine signalisierte Bereitschaft, dass man diese etwaige, zarte Mehrheit (1 Mandat!) mit Stimmen im Parlament stabilisieren wolle.

Noch einmal zurück zur Frage, was dieses Mal anders laufen müsste, damit diese große Koalition ein Revival erleben könnte. 1. Persönliche Befindlichkeiten und Antipathien müssen runtergeschluckt werden. 2. Handwerklich müssen die Verhandlungen straffer geführt werden. Man hatte das Pferd in Runde eins von hinten aufgezäumt. Bevor die Parteien eine gemeinsame Vision entwickelt hatten, wurden schon Unterverhandlungscluster gebildet. Die dort Anwesenden hatten aber keine Orientierung. Das wurde dann in den Details immer diffuser. Das müsste man dieses Mal anders machen, die große Erzählung sollte sich wohl um das Schlagwort „Gerechtigkeit“ spinnen. Denn – und das war zuletzt (3.) ein riesiges Problem – man muss sich dringend über den Budgetpfad einig werden. Das Budget gehört saniert, sonst übernimmt das Brüssel. Das will niemand.

Um das abzuwenden, braucht es parlamentarische Beschlüsse. Die Verhandlungen sind in Runde eins auch daran gescheitert, dass man sich über die Lösung des Problems nicht einig wurde – wie viel ausgabenseitig gespart und einnahmenseitig hereingeholt werden sollte. Ja, aufgrund der diffusen Datenlage und neuen EU-Fiskalregeln hatte es überhaupt sehr lange gedauert, bis es Klarheit gab, von welchen Summen man in welchem Zeitraum überhaupt redet. Und dann hat man sich in die Haare gekriegt. Die Neos wollten streberhaft und detailliert den 7-Jahres-Sanierungsplan aufstellen – schwierig, wenn man nicht genau weiß, von welchen Summen man redet. Die SPÖ hatte der ÖVP eine Liste mit Vorschlägen hingelegt, wie man „Wohlhabende“ schröpfen könnte – von Reichensteuer über Bankensteuer bis Erbschaftssteuer. Allesamt Reizworte für die Volkspartei. 

Diese von der SPÖ Entweder-oder-Liste wurde bei den Schwarzen als Forderung all dieser Punkte verstanden. Die Dynamik führte dazu, dass man die Verhandlungen schließlich bleiben ließ.

Bitte schneller 

Sollte man sie nun wieder aufnehmen, müsste es schnell gehen – denn dieses ewige Reden hat zwar schon den Rekord der längsten Verhandlungen in der Republik gebrochen, aber sonst noch nichts gebracht. Heißt: Jetzt müssten gleich die Chefs miteinander verhandeln. Zeitgleich müssten die beiden Parteien über ihr Personal nachdenken, denn auch wenn Stocker – der eigentlich schon eher im Ausgedinge zum ÖVP-Generalsekretär wurde – die Verhandlungen gut und solide führt, ist er wohl nicht der Richtige, um die Partei in die Zukunft zu führen. Die Verhandlungen mit der FPÖ hat die ÖVP auch einiges an Personal gekostet, der derzeitige Bundeskanzler Alexander Schallenberg hat angekündigt, sich zurückzuziehen. Susanne Raab ist weg vom Fenster, Europaministerin Karoline Edtstadler wird Landeshauptfrau in Salzburg. Die Konservativen müssen dringend ein paar Charismatiker auftreiben. Auch die SPÖ hat einen Bedarf an Personen, die fit für die erste Reihe sind. 

Die Reibereien innerhalb der Parteien, diverse Korruptionsvorwürfe, purzelnde Umfragewerte und Grauslichkeiten in der Öffentlichkeit haben die Politik in den vergangenen Jahren nicht unbedingt zu einem attraktiven Arbeitgeber gemacht. Wer kann oder will, wird auch in der Privatwirtschaft glücklich.

Herbert Kickl denkt übrigens nicht daran, sich dorthin zu vertschüssen. Bis jetzt war es in Österreich eigentlich Tradition, dass jene, die einen Regierungsauftrag erhalten und ihn dann nicht erfüllen können, gehen. So wie Karl Nehammer. Kickl glaubt nach wie vor an sich als „Volkskanzler“ – und dass er bei Neuwahlen weiter zulegen würde. Kickl forderte diese bei einer Pressekonferenz, die er mit einem Paulchen-Panther-Zitat schloss: „Heute ist nicht alle Tage, ich komm' wieder, keine Frage.“ 

Dass die Paulchen-Panther-Melodie unter deutschen Rechtsextremen als Erkennungszeichen gilt, weil die rechtsextreme, deutsche Terrororganisation „Nationalistischer Untergrund“ (NSU) die Melodie für ein Bekennervideo verwendete, das ihre Mordopfer verhöhnte, und dass auch dieses Video mit diesem Zitat endete, ist sicher nur ein Zufall. Das sage ich jedenfalls meinen deutschen Journalistenkollegen, die mich darauf angesprochen haben.

Ich wünsche Ihnen jedenfalls einen guten Morgen. Heute geht es weiter. Der Bundespräsident ist am Wort. Man wird sehen, ob er noch einmal einen expliziten Regierungsbildungsauftrag vergibt oder eine andere Variante wählt. Bis heute hat wohl auch die ÖVP ihre internen Gespräche geführt und sich einen Plan gemacht. Das wichtigste Ereignis des Tages findet um Punkt 12:00 Uhr statt – das neue profil erscheint im E-Paper. 

Bitte lesen Sie uns. Bitte kritisieren Sie uns. 

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.