Morgenpost

Österreichische Lehren aus der Europawahl

Warum die FPÖ überschätzt wurde, wie sich ÖVP und SPÖ überschätzen könnten und wo der blaue Ton härter wird.

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Die EU-Wahl ist geschlagen, Europa rückt nach rechts, Österreich auch, aber schwächer als zunächst erwartet. Auch junge Menschen wählten FPÖ, gaben ihre Stimmen allerdings auch besonders oft den Kommunisten. Und was kann die Politik sonst so mitnehmen? Drei Lehren aus der Europawahl:

Aufholjagd statt Erdrutschsieg

Die FPÖ liegt zum ersten Mal in einer bundesweiten Wahl auf Platz eins – und trotzdem ist das Ergebnis alles andere als überraschend. Umfragen hatten den freiheitlichen Sieg vorhergesagt und die Höhe des blauen Balkens ist nicht historisch: Bei der ersten Europawahl in Österreich 1996 erreichten die Freiheitlichen 27,53 Prozent der Stimmen. Das reichte damals allerdings nur für den dritten Platz, hinter ÖVP (29,65%) und SPÖ (29,15%). Hinzu kommt: Österreich stellt 20 von 720 Abgeordnete des EU-Parlaments. Auf europäische Sicht hat das österreichische Ergebnis daher kaum eine Auswirkung. Und im Land können selbst die Wahlverlierer ÖVP, SPÖ und Grüne mit ihrem Ergebnis leben.

Wobei sich die beiden ehemaligen Großparteien ÖVP und SPÖ nun in einem merkwürdigen Limbo befinden: Sie wollen den knappen Abstand zur FPÖ nutzen, um die eigene Basis zu motivieren – und müssen sich dennoch eingestehen, dass der eigene Wahlkampf alles andere als rund gelaufen ist. Zudem stellt sich die Frage: Hat die FPÖ bei der EU-Wahl in Wahrheit wie gewohnt geschwächelt oder haben Herbert Kickl und Harald Vilimsky ihr Wählerpotenzial für die Nationalratswahl bereits ausgeschöpft?

Wohl eine Frage, die die Parteistrateg:innen über den Sommer beschäftigen wird. 

Dass die Freiheitlichen derzeit aber die Nase vorne haben, ist unumstritten. Die Distanzen der von ÖVP und SPÖ ausgerufenen Aufholjagden liegen dem Marathon näher als dem Sprint.

FPÖ über-, ÖVP unterschätzt

Und dennoch wurde die FPÖ am Wahlabend zunächst überschätzt. Da erste Hochrechnungen erst um 23 Uhr über die Bildschirme des Landes flackerten, gab es heuer um 17 Uhr eine Trendprognose aus Nachwahlbefragungen. Und die war, wie bei Vorhersagen, die die Zukunft betreffen, so üblich, nicht ganz perfekt, aber innerhalb der Schwankungsbreite: Der erste Platz der Freiheitlichen schien um 17 Uhr deutlich gesicherter als er es tatsächlich ist. Statt 3,5 Prozentpunkte liegt die FPÖ nur 0,8 Prozentpunkte vor der Volkspartei.

Kein Einzelfall: Die Freiheitlichen sind chronisch überschätzt – und die Volkspartei unterschätzt: In den neun Sonntagsfragen im Monat vor der Wahl lagen die Freiheitlichen kein einziges Mal unter 26 Prozent – geworden sind es nur 25,5. Und die Volkspartei lag nie über 23 Prozent (am Wahlabend: 24,7 inklusive Wahlkartenprognose). Woran das liegt? „Vor allem in Online-Umfragen deklarieren sich blaue Wähler:innen überdurchschnittlich“ – das würde zu einer Überschätzung der FPÖ führen, sagte der Chef des Meinungsforschungsinstituts Foresight am Montag gegenüber dem Standard. 

Die Zeit, in der sich FPÖ-Anhänger für ihre Wahl schämen, ist also vorbei. 

Blaues Medienmissverständnis

Einen Vorgeschmack auf Herbst boten die Freiheitlichen auch bei ihrer Wahlparty in der Wiener Weinbar Vino: Ich war trotz frühzeitiger Bitte um Anmeldung als profil-Redakteur bei den blauen Feierlichkeiten nicht willkommen, auch Auslandsmedien mussten aufgrund angeblichen Platzmangels draußen bleiben.

Der öffentlich-rechtliche deutsche Fernsehsender ZDF filmte daher gar vom Gehsteig ins Lokal, um die Stimmung der österreichischen Wahlsieger einzufangen. Das war fast zu erwarten: Bei der blauen Abschlussveranstaltung am Viktor-Adler-Markt hatte Spitzenkandidat Harald Vilimsky das ZDF von der Bühne herab als „Lügenpresse“ beschimpft. 

Der Ton wird rauer.

Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.