ÖVP-Klubchef Wöginger: 25 wortkarge Minuten bei der WKStA
August Wöginger ist wirklich kein stilles, tiefes, Wasser. Sondern eher von der redegewandten, eloquenten Sorte, wie man in diesen letzten Plenartage vor der Sommerpause wohl wieder eindrücklich erleben darf. Er fühlt sich auf dieser Bühne im Hohen Haus, die er seit 2002 als Nationalratsabgeordneter regelmäßig besprechen darf, offenbar wohler als auf jener, die ihm die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) Anfang Juni bot. Dort war Wöginger nur für 25 kurze Minuten.
Der Oberösterreicher fungiert praktisch seit Start der einstigen türkis-blauen Koalition im Dezember 2017 als mächtiger Klubobmann und politischer Einpeitscher der ÖVP. Seit der Kanzlerschaft von Sebastian Kurz sorgt er dort dafür, dass die jeweiligen Regierungschefs der Volkspartei die nötige parlamentarische Rückendeckung erhalten.
Gegen den Klubobmann wird jedoch wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch ermittelt. Wöginger soll – so der Vorwurf – mit einer Posten-Intervention für einen Parteifreund beim damaligen Generalsekretär des Finanzministeriums, Thomas Schmid, die Grenzen des strafrechtlich Zulässigen überschritten haben. Wöginger hat das immer bestritten. Der Parteifreund erhielt Anfang 2017 den Job, einer unterlegenen Kandidatin wurde später vom Bundesverwaltungsgericht rechtskräftig bescheinigt, diskriminiert worden zu sein – auch auf Grund der „Weltanschauung“. Sie war nicht bei der ÖVP.
Korrekt, aber kurz
In einem Interview mit der „Tiroler Tageszeitung“ brachte Wöginger vor einigen Tagen sein Stelldichein bei der WKStA selbst aufs Tapet und sagte: „Dieses Gespräch war sehr korrekt.“ Das klingt durchaus positiv. Da haben ÖVP-Politiker in den vergangenen Jahren schon ganz andere Töne angeschlagen, was die Arbeit der WKStA anbelangt. Wie sich aus dem Protokoll der Beschuldigtenvernehmung ergibt, das profil vorliegt, war das „Gespräch“ aber vor allem eines: kurz. Als Beginn der Vernehmung ist 10:05 Uhr vermerkt, als Ende 10:30 Uhr. Was Wöginger in diesen 25 Minuten zu Protokoll gegeben hat, lässt sich hier eins zu eins darstellen, ohne den Rahmen dieser Morgenpost zu sprengen:
„Ich verweise vorab auf die schriftliche Stellungnahme vom 2. Juni 2023, die ich zu meiner Aussage erhebe. Ich bin aber darüber hinaus nicht bereit, heute die Fragen der WKStA zu beantworten. Auf Nachfrage: Ich möchte heute keine weiteren Fragen beantworten.“ Die Worte „nicht“ und „heute“ sind im Protokoll unterstrichen. Gefragt, ob er noch weitere Beweise vorlegen könne, sagte Wöginger: „Ich habe versucht noch nachzuschauen, ob es noch etwas gibt. Wie in der schriftlichen Stellungnahme festgehalten, habe ich die Bewerbungsunterlagen von L. (Anmerkung: der Parteifreund, der den Posten erhielt) an MMag. Schmid am Rande einer Sitzung übergeben. Sonstige Unterlagen gibt es nicht.“ Ende.
Der Politiker als Unterstützer
Nun hat es sich durchaus eingebürgert, dass Beschuldigte – vor allem in komplizierten Wirtschaftsstrafverfahren – gegenüber den Ermittlern nur noch schriftlich Stellung nehmen. Es ist ihr gutes Recht, sie müssten eigentlich überhaupt nicht aussagen, wenn sie nicht möchten. Dass sich ein hochrangiger, sonst derart wortgewandter Politiker auf ein – augenscheinlich anwaltlich kuratiertes – schriftliches Statement zurückzieht, scheint aber dann doch bemerkenswert. Vor allem, wenn es um die Darstellung seines eigenen, angeblich alltäglichen politischen Handelns geht.
In der Stellungnahme bestätigt Wöginger, dass sich L., ein oberösterreichischer ÖVP-Bürgermeister, der gerne Chef eines Finanzamts werden wollte, „mit der Bitte um Unterstützung“ an ihn gewandt habe. Wöginger bestätigte auch, den Wunsch von L. „an das Kabinett des Bundesministers für Finanzen“ – konkret an Thomas Schmid – weitergeleitet zu haben. Dabei habe er jedoch „selbstverständlich in keiner Weise die Grenzen des § 302 StGB (Anmerkung: Amtsmissbrauch)“ überschritten. Wöginger ist bemüht, seine Aktivitäten für den Parteifreund in den Kontext üblicher Unterstützung von Bürgerinnen und Bürgern etwa bei Behördengängen zu stellen. „Es geht hier nicht um eine inhaltliche Beeinflussung von Verfahren, sondern schlicht darum, dass die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger von der Politik ernst genommen werden und sie dabei Unterstützung erfahren.“
Ein scheinheiliges System
Nun handelte es sich bei L. allerdings nicht um jemanden, der mit einem Behördenproblem überfordert war und deshalb bei seinem regionalen Abgeordneten – quasi als letzte mögliche Anlaufstelle – guten Rat suchte. Es geht um einen Bürgermeister und bereits damals aktiven Mitarbeiter der Finanzverwaltung. L. sah sich bei seinem Bestreben, Karriere zu machen, auch nicht einem für ihn undurchschaubaren Bürokratiemonster gegenüber, sondern einem klar strukturierten Auswahlprozess. Alleine der Umstand, dass ein Kandidat für einen hohen Posten in der Verwaltung seine Bewerbung parallel auf politischer Ebene betreibt, spricht Bände. Dass der Politiker den Wunsch dann auch noch im Ministerkabinett deponiert, umso mehr. Es ist ein scheinheilliges System, das weit über den Einzelfall hinausreicht und die gesamte Verwaltung schwächt.
Wöginger betont in seiner schriftlichen Stellungnahme übrigens, dass er „an der persönlichen Qualifikation von L. für die Stelle des Vorstandes eines Finanzamtes … keinerlei Zweifel“ gehabt habe. profil berichtete vor einigen Monaten über jene Aussagen, die wiederum L. gegenüber den Ermittlern getätigt hatte. Der Bürgermeister selbst ist nur Zeuge und musste daher unter Wahrheitspflicht aussagen. Auf die Frage, ob seine Qualifikation bei der Besprechung mit Wöginger ein Thema gewesen sei, gab L. zu Protokoll: „Soweit ich mich erinnern kann, haben wir nicht darüber geredet, vor allem nicht, was ich bei der Finanz genau gemacht habe. Vielleicht habe ich ihm gesagt, dass ich beim Controlling war, weiß ich aber nicht mehr genau. Wöginger wusste grundsätzlich, dass ich bei der Finanz arbeite.“
Wögingers „Handschlagqualität“
Was L. schon noch genau wusste, ist, dass er Wöginger wegen ihrer gemeinsamen Zugehörigkeit zur ÖVP aufgesucht hatte: „Als ‚Roter‘ wäre ich nicht zu ihm gegangen.“ Wie Wöginger war auch L. bereits seinerzeit beim ÖVP-Arbeitnehmerbund ÖAAB aktiv. Im Oktober 2016 – in etwa zu jener Zeit, als der Posten-Wunsch akut wurde – schrieb L. ein E-Mail an zahlreiche „Freunde“ der von ihm geleiteten ÖAAB-Betriebsgruppe in der Finanzverwaltung Linz: „Gust Wöginger – OÖAAB-Landesobmann wurde mit 100 % zum neuen ÖAAB-Bundesobmann gewählt! Gust ist ein gestandener Innviertler mit Handschlagqualität, der sich mit vollem Elan für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einsetzt. Auch für die Vereine konnte er – nach persönlichen Verhandlungen mit unserem Chef BM Schelling – Erleichterungen im Bereich der Registrierkassenpflicht erreichen.“
Abgesehen vom bemerkenswerten Umstand, dass man sich in Teilen der Finanzverwaltung offenbar über Erleichterungen bei der Registrierkassenpflicht (und damit geringere Einnahmen) freute, sticht der Empfängerkreis des Mails ins Auge. Darunter fanden sich nämlich gleich zwei Mitglieder der späteren vierköpfigen Bewertungskommission, die L. den Weg zum Top-Job ebnete – auch deren Vorsitzender. Wöginger stand in CC.
Nachdem das Kandidatenhearing im Februar 2017 erledigt war, schrieb Schmid an Wöginger bekanntermaßen: „Wir haben es geschafft :-)) Der Bürgermeister schuldet dir was!“ Die Antwort des Abgeordneten: „echt super!! Bin total happy“. Und er fügte noch hinzu „DANKESCHÖN“.
Wer schuldet wem etwas?
In seiner schriftlichen Stellungnahme gegenüber der WKStA gab der Klubobmann dazu an: „Dass ich ‚echt super!! Bins total happy‘ geschrieben und drei emojis angehängt habe, hat seinen Grund einerseits darin, dass ich mich in der Korrespondenz mit MMag. Schmid an dessen überschwänglichen Schreibstil angepasst habe, und andererseits darin, dass ich mich tatsächlich darüber gefreut habe, dass L. zum Vorstand … bestellt wurde. Ich habe ihn, wie schon gesagt, ja für bestens geeignet gehalten und seine Bestellung daher auch im Interesse der Finanzverwaltung angesehen.“
Der Nachricht „Der Bürgermeister schuldet dir was!“ habe er damals keine besondere Bedeutung zugemessen und „überhaupt nicht im wörtlichen Sinne verstanden“, behauptet Wöginger. „Mein Verständnis war vielmehr, dass in Wahrheit nicht der Bürgermeister mir etwas schuldet ,sondern MMag. Schmid damit zum Ausdruck bringen möchte, dass ich ihm etwas schulde. Eine Bestellung aus sachfremden Motiven habe ich jedoch Zeitpunkt vermutet und hätte ich niemals akzeptiert.“
Dass sich höchste Amtsträger mit – gefühlten oder tatsächlichen – Du-schuldest-mir-etwas-Überlegungen auseinandersetzen, spricht nicht unbedingt für ein besonders tief ausgeprägtes Selbstverständnis von Demokratie und Rechtsstaat in Österreich. Um zumindest einzelne Auswüchse unsauberer Politik strafrechtlich einzudämmen, steht in dieser Plenarwoche auch eine – kleine – Verschärfung des Korruptionsstrafrechts auf der Tagesordnung. So soll der Kauf politischer Mandate künftig verboten sein, ebenso wie die Kandidatenbestechung. Dass derart minimale Änderungen vom Ibiza-Video bis zur Umsetzung drei Jahre gebraucht haben, spricht freilich Bände. Heißere Eisen, wie der Umgang mit Handy-Sicherstellungen, werden wohl noch länger geschmiedet werden – profil berichtete zuletzt ausführlich.
In Bezug auf diverse Ermittlungsverfahren zeichnet sich ein heißer Herbst ab. Genießen Sie vorher einen schönen Sommer!