Morgenpost

ÖVP, SPÖ, Neos: Mittwoch soll Regierungsprogramm präsentiert werden

Wer die Dreier-Koalition stabilisiert und wie die neue Regierung ein Ausbildungsprogramm für künftige Kanzlerkandidaten wird.

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In der Endphase von Koalitionsverhandlungen gibt es deutlich mehr Fragen als Antworten – beziehungsweise unterschiedliche Antworten. Nehmen wir das Justizministerium. An wen geht das Ressort? An einen parteiunabhängigen Minister? Doch an die ÖVP? An die Neos? Seit den Verhandlungen gestern wissen wir: wohl an die SPÖ oder zumindest an eine der SPÖ zurechenbare Persönlichkeit.

Natürlich wäre das Amt für die Neos prädestiniert gewesen. Das Justizministerium steht für Rechtsstaat, Transparenz, Aufklärung, Kontrolle der Mächtigen, Gesellschaftspolitik. Parteichefin Beate Meinl-Reisinger ist Juristin. Allerdings: Ihr Gemahl ist von Beruf Richter. Eine Ministerin kann einem unabhängigen Richter nichts vorschreiben, ein problematischer Anschein – und Juristen nehmen jeden Anschein ernst – ist aber nicht ganz auszuschließen.

Ohnehin wird es das Außenamt für Meinl-Reisinger werden mit einer gerade für die Europapartei Neos schmerzhaften Beschränkung: Die EU-Agenden bleiben im schwarzen Kanzleramt. Wir erinnern uns: In einer blau-schwarzen Koalition hätte die ÖVP darauf bestanden, die EU-Zuständigkeit vom FPÖ-Kanzleramt ins ÖVP-Außenministerium zu transferieren.

Außenminister stehen über tagesaktuellen Scharmützeln, sammeln verwertbare Schnappschüsse mit weltweiten Politpromis, sind aber oft auf Dienstreise. Daher benötigt Meinl-Reisinger jemanden, der ihr in Wien den Laden schupft und das Koalitionsmanagement abnimmt. Diese Aufgaben wird wohl der langjährige Abgeordnete Nikolaus Scherak übernehmen, der als neuer Klubobmann der Neos gesetzt ist. Scherak wird ob seiner Sachlichkeit und Verlässlichkeit bei den anderen Fraktionen geschätzt. Die Klubobmänner August Wöginger (ÖVP) und Philip Kucher (SPÖ) können auch gut miteinander. Beide gelten als verbindliche Typen mit Unterhaltungswert. Das Trio Wöginger, Kucher, Scherak sollte der Koalition die notwendige Stabilität verschaffen können.

Schallenbergs Abgang

Außenminister Schallenberg ist neben Ex-Kanzler Karl Nehammer einer der prominenten Abgänger infolge des Regierungsbildungstohuwabohus. Unter einem Kanzler Herbert Kickl hätte er nicht gedient. Am Samstag kündigte der Noch-Außenminister und Noch-Regierungschef an, er werde auch der schwarz-rot-pinken Regierung nicht angehören. 

In der Dreier-Koalition wäre Schallenberg maximal der Job eines EU-Ministers im Kanzleramt geblieben, womit er zum Regierungsmitglied zweiter Klasse geworden wäre. Schallenberg, 55, wird wohl einen Job in der nationalen oder internationalen Diplomatie anstreben. Die frühere ÖVP-Außenministerin Ursula Plassnik, deren Pressesprecher Schallenberg einst war, wurde österreichische Botschafterin in Paris.

Mit dem voraussichtlich neuen alten Innenminister Gerhard Karner, der neuen alten Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und Christian Stocker, dem unwahrscheinlichsten Bundeskanzler der Zweiten Republik, stellt die ÖVP-Niederösterreich in Zukunft drei Regierungsmitglieder. Der zweiten mächtigen Landespartei, der ÖVP Oberösterreich, wird das nicht gefallen. Immerhin könnte sie mit Wolfgang Hattmannsdorfer (derzeit Generalsekretär der Wirtschaftskammer) den Wirtschaftsminister stellen, dessen Ressort wieder um die Energie-Agenden aufgewertet wird. Hattmannsdorfer, 45, wird in den kommenden Jahren als Bundesparteiobmann-Reserve und möglicher Spitzenkandidat für die nächste Wahl aufgebaut werden. Ebenfalls eine Zukunftshoffnung ist ÖVP-Generalsekretär Alexander Pröll, 34, der Staatssekretär im Kanzleramt oder gar Kanzleramtsminister werden könnte. Pröll ist neben Stocker und Wöginger einer der drei Hauptverhandler der Volkspartei. 

In der SPÖ könnte der niederösterreichische Landesparteivorsitzende Sven Hergovich, 36, über ein Regierungsamt (etwa das Infrastrukturministerium) zum nächsten Parteichef und Kanzlerkandidaten ausgebildet werden.

Letzter Tanz am Opernball

Neben einflussreichen Ressorts wie Justiz, Äußeres und Infrastruktur gibt es auch Agenden, die unspektakulär wirken, aber politisch brisant sind, wie die Zuständigkeit für den öffentlichen Dienst. Derzeit liegt sie beim grünen Noch-Minister Werner Kogler. Mitzureden hat aber auch der/die – bald von der SPÖ gestellte –Finanzminister/Finanzministerin. Zu den offenen Fragen der Koalitionsgespräche zählt, wo die Regierung ab 2026 die notwendigen Milliarden-Einsparungen vornehmen will. Eine mögliche Antwort: bei den Beamten. Schon vor den letztjährigen Lohnverhandlungen zwischen Beamtengewerkschaft und Regierung forderte Rechnungshof-Präsidentin Margit Kraker angesichts der tristen budgetären Lage eine Nulllohnrunde für den öffentlichen Dienst – vergeblich. Wird Schwarz-Rot-Pink den Mut dazu haben? 

Bleiben die Beamten-Agenden im Vizekanzleramt, würden sie künftig vom SPÖ-Vorsitzenden Andreas Babler und indirekt vom roten Finanzminister verantwortet werden. Der ÖVP als Schutzpartei des öffentlichen Dienstes wird das eher nicht gefallen (der SPÖ wohl auch nicht). Daher ist es wahrscheinlich, dass ein schwarzer Minister oder ein ÖVP-Staatssekretär im Kanzleramt diese Agenden übernimmt (siehe oben unter „Alexander Pröll“).

Wie geht es nun unmittelbar weiter? Am liebsten würden die drei Parteichefs ihr Regierungsprogramm (die „Kronen Zeitung“ wird es vielleicht „Zuckerlpapier“ nennen) kommenden Mittwoch präsentieren, um der FPÖ für die an diesem Tag angesetzte Nationalratssitzung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Vielleicht wird es aber auch Donnerstag. Am Abend findet da der Opernball statt – mit der scheidenden Regierung unter Führung von Alexander Schallenberg. Zum Abschluss des Balles in den Morgenstunden wird traditionell „Brüderlein fein“ angestimmt, wo es heißt: „Scheint die Sonne noch so schön, einmal muss sie untergehn.“

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.