Schwarz-rot-pinkes Regierungsprogramm

Fiskalratchef Badelt über Regierungsprogramm: „Noch viel Verhandlungsarbeit nötig“

Das Regierungsprogramm von ÖVP, SPÖ und Neos ist in einigen Punkten sehr konkret, in anderen ist die Finanzierung noch offen, meint Fiskalratchef Christoph Badelt.

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151 Tage lang hat Österreich auf eine neue Regierung gewartet. Bis gestern. Wobei, bis die Regierung aus ÖVP, SPÖ und Neos wirklich angelobt ist – voraussichtlich am kommenden Montag – werden wohl noch mindestens vier Tage dazukommen. Den Rekord für die längste Regierungsbildung hat Österreichs erstes Dreierbündnis damit bereits inne. Auch gewartet, freilich weit weniger lang, haben gestern wir Journalistinnen und Journalisten im dritten Stock des Parlaments. „Sie sind schon im Lift“, kündigte eine Pressesprecherin das leicht verspätete Eintreffen der Parteispitzen an. Um kurz nach 11 Uhr war dann auch die Liftfahrt für ÖVP-Chef und baldigen Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP), den designierten Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ) und Neos-Parteichefin und Außenministerin in spe Beate Meinl-Reisinger vorbei.

„Hinter uns liegen die vielleicht schwierigsten Regierungsverhandlungen unseres Landes“, begann Stocker seine Rede. Bis spät in die Nacht habe man verhandelt. Das sah man den Dreien auch an. „Mit leichten Augenringen, aber durchaus vital“, wie Meinl-Reisinger später selbst sagte. Unisono betonten die drei Parteivorsitzenden, dass ihnen mit dem Arbeitsprogramm „Jetzt das Richtige tun. Für Österreich.“ Kompromisse gelungen seien. Ganz nach der Devise „beim Reden kommen die Leut zam“, wie Stocker eine österreichische Weisheit bemühte.

Am Ende der Pressekonferenz wurde dann auch sichtbar, wie eilig es ÖVP, SPÖ und Neos in den Stunden zuvor hatten. „Könnte ich einen Ausdruck des Programms haben?“, fragte ein Journalist einen Pressesprecher der Volkspartei, der seinem Parteichef zum Lift folgte. „Leider nicht, das ist noch gar nicht die finale Fassung“, antwortete der Sprecher, der mit dem Finger auf jenen Stapel Papier zeigte, der kurz zuvor gemeinsam von Stocker, Babler und Meinl-Reisinger in die Kamera gehalten wurde.

Was steht im Regierungsprogramm?

Digital existierte die finale Fassung zu diesem Zeitpunkt längst. Was also steht drinnen im 211 Seiten starken Arbeitsprogramm? Vieles. Manches davon ist auch sehr konkret, wie etwa die Vorhaben im Kapitel „Inflationsbekämpfung und Wohnen“. Dort findet sich nicht nur die Zweckwidmung der Wohnbauförderung für ihren tatsächlichen Zweck: Wohnraum zu schaffen. Sondern auch die Absicht, den Mietzins in Altbauten und im geförderten Wohnbau nicht mehr an den Verbraucherpreisindex (VPI), also die Teuerung, zu koppeln. Bereits ab heuer möchte man die Indexierung aussetzen, 2026 soll sie auf maximal ein Prozent und 2027 auf maximal zwei Prozent festgelegt werden.

Ein großer Wurf ist die Einigung auf einen unabhängigen Bundesstaatsanwalt an der Spitze der österreichischen Justiz. Dafür bedarf es zwar einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Nationalrat, Bald-Bundeskanzler Stocker zeigte sich gestern diesbezüglich aber optimistisch: „Ich glaube, dass die Zwei-Drittel-Mehrheit beim Bundesstaatsanwalt vielleicht leichter zu finden ist, als bei anderen Themen“.

Welche Einigungen haben die drei Parteien sonst noch niedergeschrieben? Etwa eine tiefgreifende Reform in der Justiz, inklusive Überwachung von Chat-Nachrichten. Auch der Punkt Präventions- und Deradikalisierungsarbeit bekam im finalen Arbeitspapier mehr Platz als noch in den ersten Verhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos, die am Dreikönigswochenede gescheitert sind. Wohl auch aufgrund des tragischen Terroranschlags in Villach.

Mein Eindruck ist: Dieses Programm lässt noch sehr viel Verhandlungsarbeit für diese Regierung offen.

Christoph Badelt, Fiskalratchef

Was aber auffällt: Viele Projekte, die ÖVP, SPÖ und Neos umsetzen wollen, stehen „unter Budgetvorbehalt“. Ganze 18 Mal findet sich die Formulierung im Regierungsprogramm. Etwa, wenn es um Gelder für Arbeitsstiftungen und eine Fachkräfteoffensive geht, bei der langfristigen Verlagerung des Transports von der Straße auf die Schiene oder auch beim Vorhaben, Überstunden steuerlich zu begünstigen. Das alles und viele weitere Ideen, lassen sich wohl nur dann umsetzen, wenn es die Budgetsituation zulässt. Niemand weiß das besser, als der quasi oberste Watchdog der Staatsfinanzen, Fiskalratchef Christoph Badelt.

„Mein Eindruck ist: Dieses Programm lässt noch sehr viel Verhandlungsarbeit für diese Regierung offen. Es finden sich darin zwar Andeutungen, was sie ins Budget für 2025 und 20226 schreiben wollen, aber wenn man sich da ein bisschen hineinkniet, ist das wahrscheinlich nicht ausreichend“, meint Badelt, in einer ersten Einschätzung zu profil.

Unklarheit bei Einnahmen

Im Regierungsprogramm finden sich aber auch Maßnahmen, die Badelt durchaus begrüßt. Etwa das letzte Drittel der kalten Progression einzubehalten oder auch die Nachbesteuerung von Umwidmungsgewinnen von Grundstücken. „Das halte ich für sehr vernünftig, wie viel Geld das tatsächlich einbringen kann, lässt sich aber nicht abschätzen“, meint Badelt. Ebenso wenig wie die Anhebung der Stiftungssteuer. Einnahmenseitig gibt es aber noch einen Punkt, der ins Auge sticht: Die Dreierkoalition möchte eine Gesetzeslücke schließen, die vor allem Immobiliengesellschaften begünstigte, um sich die Grunderwerbsteuer zu sparen. Stellen Sie sich vor, Sie kaufen ein Haus nicht direkt, sondern kaufen der Gesellschaft, die die Immobilie besitzt, Anteile ab. Eine Grunderwerbsteuer fiel bisher nur an, wenn jemand 95 Prozent oder mehr der Firmenanteile übernahm. Bei einer Aufteilung von 94 zu sechs hingegen nicht. Das möchten Schwarz-rot-pink jetzt ändern.

Zurück zum Budget. Eine Maßnahme, die im Vorfeld der Nationalratswahl prominent diskutiert wurde, fehlt im Regierungsprogramm: eine Reform der Grundsteuer. Kein Zufall, meint Badelt: „Das steht nicht drinnen und ich nehme an, dass das mit Absicht nicht drinnen steht, dem hat offensichtlich die ÖVP nicht zugestimmt“, so der Chef des Fiskalrates.

Zusammenfassend meint Badelt: ÖVP, SPÖ und Neos haben sich auf ein „ausgewogenes, interessantes Programm geeinigt. In der Ausverhandlung werden die drei Parteien aber noch einige Stunden zusammensitzen müssen, weil die Finanzierung dafür meines Erachtens noch in den Sternen steht.“

Der weitere Fahrplan

Wie geht es jetzt weiter? Nachdem sich der erweiterte Vorstand der Neos am Donnerstagabend auf Beate Meinl-Reisinger als Außenministerin, Christoph Wiederkehr als Bildungsminister und Sepp Schellhorn als Staatssekretär für Deregulierung geeinigt hat, soll sich im Laufe des Freitags klären, welche Personen ÖVP und SPÖ für ein Ministeramt nominieren werden. Um die Mittagszeit wird dann unser aktuelles Heft im E-Paper abrufbar sein, wo wir Ihnen auch einen Ausblick auf Österreichs erste Dreierkoalition liefern wollen. Am Sonntag wird es dann bei den Neos ernst, sie müssen, bevor sie formal in eine Regierung eintreten, noch eine Mitgliederbefragung durchführen. Am Montag könnte die Koalition dann vom Bundespräsidenten angelobt werden. Im Laufe der kommenden Woche könnte diese dann im Rahmen einer Sondersitzung im Nationalrat erstmals auf der Regierungsbank Platz nehmen.

Was Sie von dort aus alles umsetzen wollen, lesen Sie gesammelt hier. Meine Kolleginnen und Kollegen haben sich gestern durch alle Schwerpunkte gearbeitet, von A wie Asyl über B wie Bildung bis W wie Wohnen.

Julian Kern

Julian Kern

ist seit März 2024 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.