Regierung

ÖVP, SPÖ, Neos: Wer das Programm textete und was drinsteht

In der Kommunikationsgruppe sitzen alte Bekannte, die dem Programm den letzten Schliff gaben. Inhaltlich hat die geplante Dreierkoalition durchaus Neues zu bieten. Gestritten wird weiterhin, aber nur mehr in und nicht zwischen den Parteien.

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Arbeitsteilung ist auch beim Tippen eines Regierungsprogramms hilfreich. Als die inhaltlichen Punkte durch waren, feilte bis gestern Nacht die Kommunikationsgruppe daran, die politischen Vorhaben mit Prosa auszuschmücken. In den geleakten Verhandlungsprotokollen des ersten Anlaufs für Schwarz-Rot-Pink war an über 80 Stellen noch ein „Lorem ipsum“-Platzhalter für „Prosatext“.

„Jetzt das Richtige tun. Für Österreich“ dürfte das Leitmotiv der schwarz-rot-pinken Dreierkoalition werden. Zumindest war das gestern Abend der Letztstand. Wer sich da an Ex-ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz erinnert fühlt, hat ein funktionierendes Gedächtnis: Kurz ließ sich im Wahlkampf 2019 mit einem ähnlichen Spruch plakatieren: „Tun, was richtig ist“. Wobei auch die Neos im Landtagswahlkampf Niederösterreich 2023 auf einen ähnlichen Slogan setzten.

Regierungsprogramm aus Fleischmanns Feder

Zufall oder nicht: Ein früherer Kurz-PR-Mann mischte auch in der Kommunikationsgruppe der Dreierkoalition in spe mit. Gerald Fleischmann, Mister Message Control, war für die ÖVP mit dem sogenannten „Prosatext“ betraut, also jenem mehrseitigen Mission Statement, das am Beginn des Regierungsprogramms stehen wird. Nicht der einzige Kurz-Intimus: Auch Stefan Steiner, Kurz‘ inhaltliches Mastermind, berät nun wieder die Volkspartei.

Laut profil-Infos stammt der Erstentwurf für das Intro zum Regierungsprogramm aus den Reihen der ÖVP. Auf SPÖ-Seite war die Sprecherin von Andreas Babler, Raphaela Pammer, in der Kommunikationsgruppe und reklamierte in die schwarze Standortprosa eine Sozialnovelle hinein. Für die Neos sorgte unter anderem Ex-Parteimanager Nikola Donig dafür, dass der Text ohne allzu viele großkoalitionäre Retro-Vibes auskommt. Bis spät in die Nacht sollen die PR-Profis um einzelne Wörter gerungen haben – spätabends entbrannte gestern noch ein schwarz-roter Konflikt, ob ein EU-Defizitverfahren nur zu „verhindern“ oder „jedenfalls zu verhindern“ sei. Wie das letzte Kräftemessen ausgegangen ist, werden wir heute im finalen Papier lesen.

Es war nicht ganz einfach, eine gemeinsame Sprache zu finden: SPÖ und Neos sind der Meinung, dass sie die Altlasten der Vorgängerregierung wegräumen müssen. Die ÖVP kann sich eine solche Formulierung schwer bieten lassen. Auf eine Floskel wie „geopolitisch herausfordernde Zeiten“ dürften sich alle Partner einigen.

Programm wird heute präsentiert

Heute wird das Dokument von ÖVP-Obmann Christian Stocker, SPÖ-Vorsitzenden Andreas Babler und Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger präsentiert. profil wird berichten, schauen Sie gerne auf unserer Webseite vorbei. Oder kaufen Sie unser Heft, das morgen ab 12 Uhr als E-Paper zu haben ist. 

Zu personellen Entscheidungen werden sich die Parteispitzen bei dem Termin bedeckt halten und auf ihre Gremien verweisen. Den Fahrplan bis zur Angelobung liefern wir Ihnen hier.

Rotes Ringen ums Finanzressort

Tatsächlich fliegen aber schon vor den Parteisitzungen am Freitag die Fetzen, vor allem in der SPÖ, ein bisschen bei den Pinken. Die Sozialdemokraten werden erstmals seit einem Vierteljahrhundert das Finanzministerium führen – wobei die staatliche Beteiligungsholding ÖBAG aus dem Ressort herausgelöst werden dürfte. In der ersten Runde der Dreier-Verhandlungen hatte sich die SPÖ auf das Ressort weniger Chancen ausgerechnet, doch in Runde zwei war alles anders, insbesondere die ÖVP hatte keine Optionen mehr. Allen in der SPÖ ist klar, dass dieser Posten eine Schlüsselrolle in der künftigen Regierung wird, potenziell mit mehr Macht ausgestattet als Parteichef Babler, der Vizekanzler wird. Und weil diese Koalitionsverhandlungen als die transparentesten in der Geschichte eingehen werden, denkt sich die SPÖ offenbar: Warum nicht auch den Postenstreit über die Medien austragen? Von der Wiener SPÖ wird Finanzstadtrat Peter Hanke für das Finanzressort forciert, als Plan B haben die Wiener noch Ex-ORF-General Alexander Wrabetz in der Hinterhand. Babler hätte im Schlüsselressort lieber einen Vertrauensmann oder eine -frau sitzen. Am Freitag muss er dem Parteivorstand ein Personalpaket präsentieren, das möglichst viele Landesparteien glücklich macht. Bietet er den Wienern (die endlich den Lobautunnel bauen wollen) als Trostpreis das Infrastrukturministerium an, um selbst das Finanzministerium besetzen zu können, wird das in Niederösterreich nicht besonders gut ankommen. Landesparteichef Sven Hergovich will schließlich vom Landesrat ohne viel Portfolio zum Mann für Straßen und Schienen aufsteigen.

Ein paar parteiinterne Wünsche werden ÖVP und SPÖ mit den jeweils drei Staatssekretären befrieden können – hier lesen Sie, warum diese Posten für die Parteien wichtig sind.

Hanke präsentierte den Rechnungsabschluss

Neos: Wer wird Bildungsminister?

Die Neos werden neben dem Außenministerium, für das Meinl-Reisinger als Favoritin gilt, und einem Staatssekretär für Deregulierung (vermutlich besetzt mit Gastronom Sepp Schellhorn) auch das Bildungsressort führen. Die Schulen waren seit der Parteigründung im Jahr 2012 ein Kernanliegen der Pinken. Doch wer soll das Ressort leiten? Kann Wiens Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr mitten im Wienwahlkampf wechseln? Ex-Parteichef Matthias Strolz sorgte parteiintern für Unruhe, hat aber die Chancenlosigkeit seines Unterfangens eingesehen.

Zurück zum Regierungsprogramm. Nach der Problemaufriss-Prosa sollen die konkreten Vorhaben der Dreierkoalition im Anhang als Punktation aufgelistet werden – ohne viel Schnickschnack.

Die Budgetlage schränkt den Spielraum der Koalitionäre deutlich ein. Bestes Beispiel: ÖVP und Neos mussten sich bei ihrem Ziel, die Lohnnebenkosten zu senken, mit einer Absichtserklärung zufriedengeben. Erst und nur wenn die Rezession durchtaucht ist, wenn im Bundesbudget wieder Spielräume entstehen, soll die Maßnahme kommen. Geplant ist offenbar, Dienstgeberzahlungen an den Familienlastenausgleichsfonds zu reduzieren, der Fehlbetrag soll über das Budget gedeckt werden.

Ein Neos-Mann sagt zum Programm: „Es ist ein Mittekurs, ein Sanierungskurs. Krempeln wir Österreich grundlegend um? Nein. Bringen wir in wesentlichen Bereichen einen Fortschritt? Ja.“

Pinke Erfolge

Stolz sind die Neos vor allem auf das Bildungspaket, das gestern in Teilen bereits durchgesickert ist. Darunter laut „Standard“ ein „Chancenindex für mehr Bildungsgerechtigkeit“. Schulen, die mehr Kinder mit Förderbedarf haben, sollen auch mehr Geld erhalten. Dazu: Ein Handyverbot. Und ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr. Stichwort: Deutschförderung.

Auch im Pensionssystem können die Neos einen zarten Erfolg verbuchen, der allerdings in der Zukunft liegt: Die erforderlichen Versicherungsjahre für die Korridorpension sollen in Halbjahresschritten erhöht werden. Aktuell können Menschen nach 40 Versicherungsjahren mit 62 in Pension gehen. Dreht man an dieser Schraube, sollte das faktische Pensionsantrittsalter steigen. Dazu kommt ein „Wenn, dann“-Passus: Wenn der Budgetpfad des Pensionssystems bis 2030 nicht eingehalten werden kann, muss gegengesteuert werden. Einen solchen „Nachhaltigkeitsmechanismus“ (O-Ton: Ein Verhandler) wollen die Neos sogar gesetzlich beschließen. 

Schwarze Prestigeprojekte

In der ÖVP freut man sich darüber, dass es für Pensionisten einen steuerlichen Anreiz geben wird, weiterzuarbeiten. Dazu soll der Zugang zu Rot-Weiß-Rot-Karten erleichtert werden und die Kontingente aufgestockt werden. Ein Detail, das vor allem den Einzelhandel freuen dürfte: Für Rechnungen unter 35 Euro soll die Belegerteilungspflicht fallen. Die Käufe sollen aber laut profil-Infos weiter mittels Registrierkasse erfasst werden. Ein kleiner schwarzer Entbürokratisierungserfolg im Vorfeld der Wirtschaftskammerwahl.

Rote Handschrift

Rote Verhandler wiederum streichen die geplante Mietpreisbremse als einen der relevantesten Erfolge hervor. Die jährliche Erhöhung der Mieten soll für ein paar Jahre vom Verbraucherpreisindex entkoppelt werden, stattdessen soll eine maximale prozentuelle Steigerung festgelegt werden. Im ersten Jahr soll sie Nahe der Null liegen und dann moderat ansteigen. Der Vorteil dieser Maßnahme: Sie kostet den neuen Finanzminister keinen Cent, betroffen sind davon die Vermieter. Wichtig ist das Projekt für die SPÖ im anlaufenden Wien-Wahlkampf. In der Bundeshauptstadt leben etwa 80 Prozent der Menschen zur Miete, während es in den Bundesländern nur knapp die Hälfte ist. Von dem Mietendeckel sollen dem Vernehmen nach nicht nur Altbauwohnungen, sondern auch Neubauten und Geschäftslokale umfasst sein. Dadurch haben auch Betriebe etwas davon.

Villach und die Folgen

Und dann ist da noch das Mega-Thema Radikalisierung, das durch den Anschlag von Villach an trauriger Aktualität gewonnen hat. Ein Involvierter: „Wir wissen alle, dass wir aus der Mitte heraus Antworten darauf geben müssen, sonst wird diese Frage die Mitte auflösen.“

Social-Media-Plattformen sollen in die Pflicht genommen werden, um Hasspredigern die Accounts zu sperren. Wie die Regierung das gesetzlich umsetzen will, war noch nicht zu erfahren, denkbar ist auch, dass der Punkt als Wunsch nach Brüssel geschickt wird. Ebendort will man auch die Forderung nach einer europaweiten Gefährder-Datenbank deponieren.

Ein Hauch von Optimismus

Verhalten optimistisch. So ist die Stimmungslage in den drei Parteien zum Beginn der Koalition. Einen Startbonus haben sie: Nach der Wien-Wahl Ende April gibt’s eine zweijährige Verschnaufpause. Die nächsten Landtagswahlen warten mit Tirol und Oberösterreich erst 2027.

Die FPÖ um Parteichef Herbert Kickl zu verhindern, wird als dauerhafter Kitt jedenfalls zu wenig sein. Das ist allen klar: „Wenn wir nicht liefern, sind wir geliefert“, sagt ein zukünftiger Koalitionär. 

Diese Formulierung hätte die Kommunikationsgruppe eher nicht freigegeben. 

Jakob Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.