Polarisator statt Stabilisator: Ist Kickl zum Kanzler geeignet?
Herbert Kickl bittet die ÖVP mit „ausgestreckter Faust“ (Michael Völker im „Standard“) zu Regierungsverhandlungen, und diese hält beinahe geschlossen beide Wangen hin. In seiner bei einer Pressekonferenz vorgetragenen Einladung forderte der FPÖ-Obmann von der ÖVP regelrechte Unterwerfungsgesten und öffentliche Abbitte. Diese solle sich bei ihm für davongetragene „Narben“ entschuldigen und ihre Verantwortung für das Budgetdesaster einbekennen. Zudem müsse die ÖVP akzeptieren, dass die FPÖ als Nummer 1 vorgebe, wo es lang gehe. Und wenn die Schwarzen nicht spuren, dann gäbe es eben Neuwahlen.
Herbert Kickl hätte auch mit der Großmut des Wahlsiegers die ÖVP sachlich zu Gesprächen bitten können. Allein, er wollte sich nicht dazu durchringen. Warum er so handelt, beschäftigt die Kickl-Exegeten seit Juni 2021, als er die Obmannschaft der FPÖ übernahm.
Herbert Kickl misstraut der ÖVP nach wie vor. Das tat er bereits während der Regierungsverhandlungen 2017 unter den Parteichefs Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ). Als alle schon in Feierlaune waren, leistete Kickl als letzter Widerstand. Seine Warnung: Die ÖVP werde die FPÖ hintergehen. Im Mai 2019 sah sich Kickl in seiner Skepsis bestätigt, als er nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos von Sebastian Kurz aus der Regierung geworfen wurde.
Seitdem hegte er Rachegelüste.
Rauhbein statt Bussibär
Offenbar kann der FPÖ-Obmann nicht aus seiner Haut. Im Wahlkampf 2024 versuchte er, statt dem Rauhbein den Bussibär zu geben. Die neue Milde hielt er nicht immer durch. Bei einem Wahlkampfauftritt in Hallein bezeichnete er das Publikum der Eröffnungsfeier der Salzburger Festspiele als „Inzuchtpartie“.
Eines muss man dem FPÖ-Obmann lassen. Er ist, wie von ihm behauptet, ein ehrlicher Politiker, vor allem zu sich selbst. Mit seiner provokanten Einladung an die ÖVP blieb er sich treu und verstellte sich nicht.
Für einen Regierungschef ist das allerdings zu wenig. Will der FPÖ-Obmann erfolgreich sein, muss er seinen Stil ändern. Ein österreichischer Bundeskanzler hat verfassungsrechtlich keine Weisungsbefugnis gegenüber seinen Ministern. Er ist ein Primus inter Pares und führt die Regierung durch seine Autorität und Kommunikationsfähigkeit, beides Qualitäten, mit welchen Kickl bisher nicht auffiel. Als Innenminister igelte er sich in seinem Kabinett ein. Interviews verweigert er konsequent.
Blaues Gedenken
Ein Kanzler muss der Stabilisator seiner Regierung sein, nicht ein Polarisator, als den man Kickl bisher erlebte. Und er muss ein gewisses Maß an Resilienz aufweisen. Kickl aber reagiert auf tatsächliche oder vermeintliche Ungerechtigkeiten gegenüber der eigenen Person mit Gegenangriffen.
2025 bedeutet ein wichtiges Gedenkjahr für das Land. Die Republik Österreich erinnert sich an die Befreiung von der NS-Diktatur 1945 und den Staatsvertrag von 1955. Am 5. Mai 2025 jährt sich die Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen zum 80. Mal. Das offizielle Österreich mit Bundespräsident und Bundeskanzler an der Spitze wird Gedenkveranstaltungen begehen. Überlebende- und Opferverbände und das Mauthausen-Komitee (Vereinsträger sind unter anderem der ÖGB, die Bischofskonferenz und die Israelitischen Kultusgemeinden) werden im Vorfeld wohl heftige Kritik am FPÖ-Kanzler üben; vielleicht auch Veranstaltungen boykottieren, an denen er teilnimmt. Wird Herbert Kickl darauf mit ausgestreckter Faust reagieren?