Pop und Power: Wird Taylor Swift die Welt retten?
Die Kamera, die Taylor Swift während der Grammys backstage oder im Publikum verfolgte, zeigte uns eine junge Frau mit einer Ich-bin-eine-von-euch-Frisur; sie stöckelte in einem weißen Kleid (das auch Tante Mary aus einem Vorhang gebastelt haben könnte) fast ein bisschen unbeholfen durch das Geschehen; ihre Erscheinung stand im krassen Gegensatz zu den hysterischen Outfits von Miley Cyrus und Lana del Rey. So könnte auch die Miss Schulball 2020 in einem Vorort von Memphis, Tennessee aussehen.
Und – schwups – reihte sich, im Widerspruch zur nahezu banal normalen Anmutung, an diesem Abend ein neuer Superlativ in die Trophäengalerie der Superlative, die die inzwischen zwanzigjährige Karriere von „Miss Americana” (wie sie ihre Doku mit Sicherheit ohne jede Selbstironie nannte) begleiten: Sie ist die einzige Künstlerin in der Grammygeschichte, die vier Mal den Preis für das beste Album des Jahres abgeräumt hatte. Und einer fünften Runde steht nichts im Weg, denn mit einer Nonchalance, als ob sie einen Karottenraspler vor einem Kaufhaus verkaufen wollte, kündigte sie das Erscheinen ihres neuen Albums schon für Mitte April an. Aufruhr unter Swifties weltweit, kann es in dunklen Zeiten wie diesen eine schönere Nachricht geben? Ich versuche verzweifelt die Ursprünge der Magie von Taylor Swift zu erkunden. Musikalisch ist das doch öder Bubblegum-Pop ohne stilistische Markanz (im Gegensatz zu Billie Eilish oder Lady Gaga, die man nach zwei Herzschlägen erkennt). Ihre Songs, so Swift, „handeln über meine Gefühle.” Welche Popsongs tun das nicht, Honey? Alles in allem: Mehr Mainstream geht nicht. Und die Stimme ist so Ö3.
Bei meinen Recherchen unter weißen, weiblichen Millenials (laut Demographie die Hauptzielgruppe dieser Göttin der Durchschnittlichkeit) versuchte ich diese nahezu religiöse Besessenheit mit der ehemaligen Country-Sängerin, die mit ihrem ultraweißen Südstaatenflair wie ein republikanisches Postergirl wirkt, zu erkunden. Es kamen Antworten wie „Sie versteht mich so gut”, „Sie hat wie so viele von uns den Schmerz umarmt” oder (etwas gespenstisch) „Sie sendet Botschaften, die in ihren Songs verborgen sind.”
Ich habe den Code der Erkenntnis definitiv nicht geknackt. Und bin mir durchaus im Klaren, dass ich mich mit diesen Zeilen gefährlich weit aus der Kurve lege, und damit rechnen muss, von empörten Swifties mit abgelaufener Hafermilch überschüttet zu werden. Außerdem ist jetzt sowieso besser die Klappe halten angesagt, denn das Schicksal des gesamten Planeten liegt in den Händen des Mädchen mit dem Kirschmund, der Gitarre und dem prolligen Footballsuperstar-Freund Travis Kelce. Es droht ein Duell um die US-Präsidentschaft zwischen den Greisen Joe Biden und Donald Trump. Und Swift hat sich schon 2020 als Biden-Fan exponiert, damals lobte sie ihn für sein Engagement für Schwarze, Frauen, die LGBQT-Community.
Worauf der Trump-Trash sofort versuchte und das bis heute tut, sie mit Verschwörungsdreck (sie sei eine Agentin des Pentagon, etc.) zu bewerfen. Möglicherweise kommt kommenden Sonntag bei der Superbowl tatsächlich eine Wahlempfehlung von Swift. Dann wird die US-Wahl ein Kampf zwischen Taylor samt ihrer Swifties-Armee gegen stiernackige MAGAS (Make America great again). Bei den Grammys sahen heuer um 34 Prozent mehr Menschen zu als letztes Jahr. Das ist ein gutes Zeichen.
Superpower für den Super-Tuesday bitte. Und jede Menge Swift-States. Dann trete ich der Glaubensgemeinschaft auch bei.