Van der Bellen bei seiner Rede in Salzburg
Morgenpost

Wenn der Deckel vom Topf fliegt

Van der Bellen eröffnet die Salzburger Festspiele, Rammstein in Wien und Abschied von Sinéad O’Connor: Gedanken zum Freitag.

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„Bringen Sie Ihre Blase zum Platzen! Reden Sie mit Leuten, die Sie nicht kennen. Die nicht zu ,Ihrer Gruppe' gehören.” Das Miteinander könnte so einfach sein. Bundespräsident Alexander Van der Bellen appellierte in seiner gestrigen Rede zur Eröffnung der 103. Salzburger Festspiele nicht nur an die notorisch krachsüchtigen Parteien, die sich oft nicht entscheiden können, ob sie noch im Sommerloch oder schon im Wahlkampf für 2024 stecken, sondern an alle Bürger:innen. Denn: Neben Teuerung, Migration, Krieg in Europa und Klimakrise sei es nur menschlich, so das Staatsoberhaupt, verunsichert zu sein, aber man solle den Herausforderungen lieber mit „begründetem Optimismus” und nicht mit Fatalismus oder Verleugnung begegnen.

Die Festspiele finden heuer erstmals unter schwarz-blauer Landesregierung statt, in der Kunst- und Kulturszene sei dies stark spürbar, wie meine Kollegen Stefan Grissemann und Wolfgang Paterno in ihrem Lokalaugenschein (die Geschichte „Schatten über der Stadt“ können Sie hier nachlesen) schreiben. Und Starpianist Igor Levit sagt im profil-Interview: „Wenn bei mir innerlich der Deckel vom Topf fliegt, dann sage ich etwas. Damit tue ich mir, auch dem Publikum etwas an. Ich kann die höchst unterschiedlichen Reaktionen darauf verstehen, wenn die Menschen eigentlich nur zum Musikhören gekommen sind. Das ist legitim. Ich tue es aber trotzdem.“

Während in Salzburg die Festspiele feierlich (und unter mahnenden Worten) eröffnet wurden, gab es im Wiener Ernst-Happel-Stadion ganz anderes Getöse. Denn die Berliner Rockband Rammstein und deren umstrittener Frontmann und Sänger Till Lindemann gastierte am zweiten Tag in Folge im ausverkauften Oval. Unter normalen Umständen hätten sie mich an diesen Abenden auch in der sogenannten Feuerzone, also im vorderen Bereich der Stehplätze, gefunden. Denn eines lässt sich nicht abstreiten: Mich begleitet die Band seit meiner Jugend in den wilden Neunzigern, ich durfte mit dem Keyboarder Christian Flake Lorenz reflektierte Interviews führen und war von diesen gigantischen Shows begeistert.

Ein Konzertbesuch hätte sich im Lichte der Anschuldigungen, die gegen Lindemann und Teile der Band in den letzten Monaten erhoben wurden, dennoch nicht mehr richtig angefühlt. Franz Stanzl, ein Teil des Wiener Satire-Duos Gebrüder Moped, mit dem ich bei der Demonstration gegen die Konzerte gesprochen habe (die ganze Reportage können Sie hier nachlesen), hat es schön auf den Punkt gebracht. Er sei hier, erzählte er mir, um sich einerseits von der Band zu verabschieden, aber vor allem, um sich mit den Frauen zu solidarisieren und Kritik zu üben an dem „Reflex, Frauen nicht zu glauben“.

Über das Leben und das Leiden der am Mittwoch im Alter von 56 Jahren verstorbenen irischen Sängerin Sinéad O’Connor - und ihren Welthit „Nothing Compares 2 U“ - wurde in den vergangenen Tagen viel geschrieben. Ein Song, der im Licht ihres Ablebens wieder durch das Netz geistert, ist eine Duett-Version von „Help Me Make It Through the Night“ von Kris Kristofferson. Der US-Singer-Songwriter hatte O’Connor, als sie nach der Kontroverse um ein zerrissenes Papst-Foto im New Yorker Madison Square Garden ausgebuht wurde, in die Arme genommen und verteidigt. Es ist ein trauriges Lied, das aber, und daher passt es so gut zur tragischen Figur Sinéad O’Connor, im Chaos Leben auch Hoffnung spendet: “I don't care who's right or wrong / I don't try to understand / Let the devil take tomorrow / 'Cause tonight I need a friend”.

Ein hoffnungsvolles Wochenende wünscht

Philip Dulle

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Von 2009 bis 2024 Redakteur bei profil.