Rechtsruck in Brüssel – das sind die Folgen
Nur noch wenige Monate bis zur Europawahl im Juni. 27 Mitgliedsländer wählen 720 Abgeordnete ins EU-Parlament. Eine Sache steht bereits jetzt fest: Rechtspopulisten und antieuropäische Parteien werden wohl Rekordsiege verzeichnen.
Das prognostiziert eine vor wenigen Tagen veröffentlichte Studie des European Council on Foreign Relations (ECFR). Der Name der Studie: „A sharp right turn“ (Eine scharfe Rechtskurve). Die Ergebnisse basieren auf Meinungsumfragen und Modellrechnungen. Sie sind ein Weckruf für das, was 2024 in Sachen EU-Klima,- und Außenpolitik auf dem Spiel steht.
Anti-Europäer sind auf dem Vormarsch
In neun Ländern (darunter Österreich) stehen antieuropäische Populisten Umfragen zufolge auf Platz Eins: Österreich, Belgien, Tschechien, Frankreich, Ungarn, Italien, Niederlanden, Polen und die Slowakei. In neun weiteren Ländern könnten sie den zweiten oder dritten Platz stellen: Bulgarien, Estland, Finnland, Deutschland, Litauen, Portugal, Rumänien, Spanien und Schweden. Die FPÖ würde die Zahl ihrer EU-Abgeordneten von drei auf sechs verdoppeln. Die Alternative für Deutschland (AfD) könnte 19 Sitze erreichen. Ebenfalls zulegen dürfte der rechte Rassemblement National aus Frankreich mit 25 Abgeordneten. Parteichefin Marine Le Pen hat die EU in der Vergangenheit als „desaströse Organisation“ bezeichnet, die „unseren Kontinent“ zerstört.
Ein Viertel aller Abgeordneten
Le Pens Partei ist Teil der Fraktion „Identität und Demokratie“ (ID). Diese könnte laut Studie mit fast 100 Abgeordneten zur drittgrößten Fraktion im EU-Parlament heranwachsen. Gemeinsam mit den Europäischen Konservativen und Reformern (EKR) kämen EU-skeptische und zum Teil offen rechtsextreme Parteien auf ein Viertel aller Abgeordneten.
Im größeren Kontext bedeutet das: Fast die Hälfte aller Sitze könnten außerhalb der zentralistischen „großen Koalition“ liegen. Diese schließt neben der Europäischen Volkspartei (EVP) auch die Sozialisten und Demokraten (S&D) sowie die liberale Renew Europe (RE) ein. Zusammengerechnet könnte ihr Anteil an den Mandaten von 60 auf 54 Prozent sinken.
Klima, Ukraine, EU-Erweiterung
Zwar dürfte die EVP aller Voraussicht nach die größte Fraktion bleiben. Aber Rechtspopulisten werden im nächsten EU-Parlament präsenter und damit auch stärker in Entscheidungsprozesse einbezogen sein. Sie könnten Hilfen für die Ukraine aufhalten, den Europäischen Grünen Deal bremsen oder die EU-Erweiterung. Es wird auch schwerer werden, Gelder für Länder einzufrieren, in denen die Demokratie abgebaut wird. Am stärksten wird der Rechtsruck laut der Studie in der Umweltpolitik spürbar sein. Exemplarisch dafür steht das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur, das im Juli 2023 vom Parlament mit knapper Mehrheit angenommen wurde. Es geht um große, ökologische Fragen und den Schutz von Biodiversität in der EU: Die Verbesserung des Zustands der wichtigsten Land- und Meereslebensräume, städtische Ökosysteme, Flüsse und Überschwemmungsgebiete. Mit dem Rechtsruck im EU-Parlament, so die Studie, hätte ein solches Gesetz verhindert werden können.
Vorbote für nationale Wahlen
Die Studie warnt auch, dass die Europawahl ein Vorbote für nationale Wahlen sein wird. Darunter auch für die Nationalratswahl in Österreich im Herbst diesen Jahres, aber auch die Bundestagswahl in Deutschland im Jahr 2025 sowie für die Wahlen in Frankreich im Jahr 2027.