Morgenpost

Renaturierung: Die Macht der Bundesländer

Nachdem sich die ÖVP-Länder beim Renaturierungsgesetz von Klimaministerin Gewessler übergangen fühlten, könnten sie nun selbst gegen die Ministerin vorgehen.

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Besonders beliebt ist Leonore Gewessler in Vorarlberg derzeit nicht. Auch in den anderen fünf ÖVP-geführten Bundesländern ist man nicht gut auf die grüne Umweltministerin zu sprechen – und das nicht erst seit der Abstimmung über das EU-Renaturierungsgesetz am Montag. Schon zuvor, beispielsweise bei den Diskussionen um die Wolfsverordnungen im vergangenen Sommer, schossen schwarze Landesrät:innen mitunter heftig nach Wien. Der Tenor: Gewessler habe wenig Ahnung von der Lebensrealität der Landbevölkerung und der Bäuerinnen und Bauern – weder beim Wolf, noch bei der Renaturierung. 

Außerordentlich entrüstet zeigte sich der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP). „Wenn die Ministerin zustimmt, ist das ein Koalitionsbruch und ein klarer Vertrauensbruch gegenüber den Ländern“, tönte er noch am Sonntagabend, nachdem Gewessler ihre Zustimmung ankündigte. Er sei „schwer irritiert“, und das schon länger: Bereits Anfang Juni verlangte er eine Entschuldigung der Klimaministerin, als diese zum ersten Mal von einer möglichen Zustimmung sprach, und bezeichnete Gewesslers Verhalten als „völlig daneben“.  

Die ÖVP hält nun zwar trotz Wallners Säbelrasseln an der Koalition fest, geht aber auf mehreren Ebenen juristisch gegen Gewessler vor – die verschiedenen Möglichkeiten haben wir hier für Sie zusammengefasst und erklärt. 

Eine Ministerinnenanklage durch einen entsprechend positiv angenommenen Antrag im Nationalrat ist derzeit nicht am Tisch, auch einen Misstrauensantrag im Nationalrat wird die ÖVP laut Karl Nehammer nicht unterstützen. Dabei hätten auch die Länder die Möglichkeit, eine Ministerinnenanklage vorzubringen – notwendig dafür sind übereinstimmende Beschlüsse aller neun Landtage. Wien und Kärnten sind nunmehr jedoch für das Renaturierungsgesetz, dementsprechend unwahrscheinlich ist dieser Weg. 

Ein optionaler Weg bliebe den aufgebrachten Bundesländern – und zwar einer, den Landeshauptmann Wallner sogar alleine gehen könnte: Die Landesregierungen könnten beim VfGH nämlich jeweils die Feststellung eines Verstoßes gegen eine Bund-Länder-Vereinbarung beantragen. Laut dem Verfassungsjuristen Peter Bußjäger wäre dafür ein Beschluss der Vorarlberger Landesregierung erforderlich, den die ÖVP aufgrund ihrer Mehrheit in der Landesregierung alleine fassen könnte. „Das wäre ein gangbarer Weg, um die Frage zu klären, ob überhaupt eine einheitliche Stellungnahme der Länder vorlag, die die Ministerin bei der Abstimmung im Ministerrat gebunden hätte“, sagt Bußjäger dem ORF Vorarlberg.

Der VfGH könnte dann feststellen, ob der Bund „seinen Verpflichtungen nachgekommen“ ist, heißt: Ob durch Leonore Gewesslers Handlungsweise die Mitbestimmungsrechte der Länder gewahrt wurden, um so auch zukünftigen Zerwürfnissen dieser Art durch klarere Regeln vorzubeugen. An der Wirksamkeit von Gewesslers Stimme für das Renaturierungsgesetz im Rat der EU würde ein etwaiges Erkenntnis zwar nichts ändern, aber eben klar definieren, wann, unter welchen Umständen und wie lange eine bindende einheitliche Stellungnahme vorliegt.

Wallners Zorn ist offenbar jedoch mit der geplanten Nichtigkeitsklage beim EuGH sowie der Anzeige wegen Amtsmissbrauch, die die ÖVP gestern einbrachte, genügend Abhilfe getan. Die Vorarlberger Landesregierung werde nicht vor den VfGH ziehen, so Wallner in einem Statement. Auch in anderen schwarzen Bundesländern möchte man die rechtlichen Schritte auf Bundesebene geklärt wissen.

Welche nachhaltigen Folgen das Geriss um das Renaturierungsgesetz für die Koalition und vor allem den anstehenden Nationalratswahlkampf haben wird, dazu haben meine Kolleg:innen Iris Bonavida, Eva Linsinger und Max Miller im neuen profil recherchiert. Das E-Paper können Sie bereits ab 12 Uhr hier lesen. 

Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

war bis Oktober 2024 stv. Online-Ressortleitung und Teil des faktiv-Teams.