Grün-pinke Wing(wo)men für die GroKo
„Der Frosch ist noch nicht ins Wasser gehüpft. Es sind Gespräche, keine Verhandlungen, weil es keinen Auftrag für Verhandlungen gegeben hat. Es gibt Knackpunkte, die sind knackig. Es geht voran, aber noch ist nichts in trockenen Tüchern. Welche Plattitüden kann ich Ihnen noch sagen, um zu vermitteln, dass es gerade nichts Neues gibt“, sagt ein Strategieberater zu mir, als ich ihn nach dem Stand der Verhandlungen frage. Die Spitzen von SPÖ und ÖVP sitzen im Parlament noch immer zusammen ihre Hintern platt und versuchen eine Vision für Österreich auszubaldowern. Manchmal kommen Experten dazu, manchmal Vertraute. Gerade in der SPÖ wird viel in die eigenen Reihen zurückgespielt – da kochen eben mehr Köche mit als bei der ÖVP.
Nächste Woche will man idealerweise fertig sein – also noch mehr sitzen und reden, damit sich bis zur nächsten Nationalratssitzung am 26. Februar zumindest ein Schmalspurregierungsprogramm ausgeht. Man kann es positiv sehen: Dass wir uns noch etwas in Geduld üben müssen, stärkt idealerweise unseren Charakter, denn Geduld ist ja bekanntlich eine Tugend. Oder so.
Schwarz und Rot haben die Gesamtverhandlungszeit zwischen Blau und Schwarz von acht Stunden und 24 Minuten übrigens schon am ersten gemeinsamen Sitzungstag überboten. Maulfaul war vor allem FPÖ-Chef Herbert Kickl, war ihm eine Kanzlerschaft wirklich nicht mehr wert als das? Oder wollte er eigentlich gar nicht wirklich regieren? Den Eindruck könnte man jedenfalls bekommen. Zurück an den Verhandlungstisch, zu den aktuell Willigen: Ich kann Ihnen von dort gerade keine Breaking News berichten, was einigermaßen ungünstig ist, wenn man einen täglichen Newsletter schreiben muss/will. Aber ich habe was anderes, auf das ich Ihre geschätzte Aufmerksamkeit richten möchte. Diese etwaige Neuauflage der GroKo hätte noch etwas Besonderes: So mächtig wie dann wäre eine Opposition wohl selten gewesen – dementsprechend überdenken die kleineren Parteien gerade ihre Strategien.
Kleine Helfer
Sollten sich Schwarz und Rot einigen, ist das wunderbar, dann haben wir im dritten Anlauf vielleicht endlich eine Regierung (wäre ich religiös, würde ich drei Kreuze schlagen) – aber noch lange keine stabile. Zusammen haben beide Parteien nur ein Mandat Überhang für eine parlamentarische Mehrheit, und das kann riskant sein. Ist ein Abgeordneter krank, hat keine Lust, bockt oder will etwas für sein Bundesland herauserpressen, kann es haarig werden. Es gibt auch Mandatare, die durch Widerstand eigene Duftmarken hinterlassen wollen – immer wieder gelangten so zuvor wenig beachtete Hinterbänkler zu unerwarteter Berühmtheit.
SPÖ und ÖVP haben ihre Klubs normalerweise ganz gut diszipliniert, dennoch bräuchte die GroKo links Grünen-Chef Werner Kogler als Wingman – und auf der rechten Seite Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger als Wingwoman. Beide haben angekündigt, sich als konstruktive Opposition im Parlament positionieren zu wollen – stets das große Ganze und das Staatswohl im Auge. Wenn dem so ist: wunderbar. Aber der Duft der Macht kann verführerisch sein – und der Politiker spielt gerne Machtspielchen. Und freilich werden sich beide Parteien die Schneid nicht so einfach abkaufen lassen. Wer ihre Zustimmung will, muss sich darum bemühen – und das ein oder andere Mal auch etwas dafür abtauschen.
Aber wie kommt man zu so einem Kompromiss? Die großen Parteien müssen wohl all ihr Geschick an gepflegter Diplomatie aufbringen, für die Wien einmal so berühmt war. Dazu muss man wissen: Was wollen die kleineren Oppositionsparteien, was ist ihnen wichtig?
Fangen wir bei den Grünen an: Inwieweit man die noch aktuelle Regierungspartei (ich weiß, man vergisst, dass sie noch immer MinisterInnen stellen) ins Boot holen kann, wird viel damit zu tun haben, wer dort das Sagen hat. Ob es ein Werner Kogler ist, ein politisch erfahrenes Urtier, der sich oft dem Pragmatismus verschreibt – oder eher die Fraktion von Sigrid Maurer, die bekannt dafür ist, für jeden Millimeter Entgegenkommen das Maximum heraus erpressen zu wollen.
Auch Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger hat keinen einfachen Klub zu führen und kämpft immer wieder mit verhaltensauffälligen Funktionären, die querschießen und an ihrem Stuhl sägen. Die pinken Reihen sind nicht unbedingt geschlossen.
Beide Parteichefs können sich schon jetzt auf leidenschaftliche interne Diskussionen einstellen. Es wird die einen geben, die der Meinung sind, dass es vom Wähler goutiert wird, wenn man als Ermöglicher zeigt, dass mit einem ein Staat zu machen ist. Es wird die anderen geben, die glauben, dass Politik ihr Profil durch Konflikt und Abgrenzung schafft. Beides ist richtig, aber wie hält man die Waage? Wann ist was notwendig, wo kann man wie punkten? Bei aller konstruktiven Zusammenarbeit im Parlament, am Ende des Tages geht es jeder Partei am Wahltag darum, möglichst viele Wähler zu bekommen. Und dafür muss man vorher gezeigt haben, was man will, draufhat – und für die eigene Klientel herausgeholt hat.
Das Spielfeld
Es ist anzunehmen, dass sich Grüne und Neos im Gegenzug für ihre Stimmloyalität Themen herauspicken, die auf ihr Konto einzahlen und gleichzeitig Schwachstellen der Regierungsparteien offenlegen. Es wäre etwa logisch, dass die Grünen versuchen, Maßnahmen im Klima-Bereich durchzusetzen – auf der Hand liegen würde das im Bereich Wirtschaft und Transformation. Das wäre mit den Vorstellungen der ÖVP (die mit den Blauen so ziemlich alles an Klimaschutzmaßnahmen geopfert hätte, was man einst als wichtig titulierte) wohl gut machbar – und auch mit der SPÖ. Beide Parteien tun für dieses globale Megathema nicht viel, haben aber ideologisch nicht prinzipiell etwas dagegen (außer man will über den Verbrennungsmotor reden, das ist ein Reizwort). Und tatsächlich gibt es globale Klimaziele, die erreicht werden müssen – warum sich nicht das Know-How der Grünen dazu reinholen?
Die Neos haben es noch immer schwer, ihrem Wähler zu vermitteln, was ihre DNA überhaupt ist – Neos steht für „Neu“, nur, das ist man nach elf Jahren dann auch nicht mehr wirklich. Am ehesten haben sich die Pinken das Thema „Bildung“ auf die Fahnen geheftet. In dem Bereich gibt es dringenden Handlungsbedarf, aber Rot wie Schwarz haben dazu in den letzten Jahrzehnten keinen großen Wurf hingebracht. Die aktuellen (geleakten) Koalitionsverhandlungspapiere waren auch nur von gähnender Ideenlosigkeit geprägt. Das hat auch damit zu tun, dass das System wirklich kaputt ist, der Aufholbedarf und die Baustelle sind riesig. Dass man Respekt davor hat, das anzugehen, ist nachvollziehbar – nur auch kein Grund, sich schließlich gar nicht darum zu kümmern. Sollten die Neos hier aus der Opposition heraus etwas bewegen können, wäre das schon etwas.
Keine Wahlen in Sicht
Prinzipiell stehen die Zeiten für eine konstruktive Politik im Parlament ganz gut. Nach der Wien-Wahl gibt es in den nächsten zwei Jahren keine nennenswerten Wahlen – heißt: Die Parteien können auch einfach einmal ruhig arbeiten, anstatt um Zustimmung zu buhlen. Das könnte helfen.
Die ersten Zerreißproben für die Parlamentsmehrheit kämen jedenfalls bald. Es muss dringend ein Budgetpfad für die nächsten zwei Jahre beschlossen werden. Zumindest auf Regierungsverhandlungsebene schaut es aus, als ob man sich einigen könnte – aber werden Neos und Grüne mitgehen? Zumindest Erstere sind kurz nach Neujahr unter anderem vom Verhandlungstisch aufgestanden, weil man die beiden anderen Parteien als zu wenig reformfreudig einschätzte und die Vorstellungen, wie das Budget zu flicken sei, so weit auseinanderklafften wie das zu füllende Loch.
Auch die Justiz wird mit Sicherheit ein Knackpunkt werden – hier gibt es einige Vorhaben, die sogar Zweidrittelmehrheiten bedürfen, eine große Herausforderung.
Und dann wäre da noch Herbert Kickl. Es ist nicht davon auszugehen, dass er vorhat, den konstruktiven Oppositionellen zu mimen. Sein Erfolgsrezept heißt eher radikal und brachial. Ich kann Ihnen jetzt schon prophezeien, dass er befinden wird, die Systemparteien packeln, alles sei schon ewig ausgemacht – und nur die FPÖ sorge für einen anderen Wind. Gegen Establishment und gegen die Eliten. Das alte Lied vom Neuen eben, das dann oft nur Neues will, um wieder zum Alten zu kommen.
Wissen Sie, die Politik ist eigentlich kein kompliziertes Spiel. Es gibt rund ein dutzend Spielarten, die Frage ist immer nur, wer welchen Zug zuerst macht – wer wie viel Selbstdisziplin und -marketing macht.
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Noch zweimal schlafen, dann ist Wochenende.
Ihre, Anna Thalhammer